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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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gegenüber ohne Arg ist, sie wird schon wissen, was sie tut. Er kann seine Liebe ohne Rücksicht auf Sorgepflicht oder Skandal ins Kraut schießen lassen. Und das tut ihm gut.
    Es wird nicht mehr lange dauern bis zum großen Sprung. Er ist bereits jetzt einer, mit dem man rechnet. Und manche von denen, die die Zukunft vorauswissen, ziehen ihn bereits als Nachfolger in Erwägung. Noch hat er eine gute Presse, und seine Daten können sich sehen lassen. Am liebsten würde er Mela ein ganz großes Geschenk machen, eines, das sich durch nichts aufwiegen läßt. An das sie auch noch denken würde, wenn vielleicht er einmal der Chef und sie noch immer seine Vertraute wäre.
    Eine staatstragende Idee, wie die Immerwährende Neutralität zum Beispiel. Abgekürzt müßte sie die Buchstaben von Melas Namen ergeben. Einen Mittel-Europäischen-Länder-Ausgleich in Anlehnung an den seinerzeitigen Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn – nur wesentlich besser im Detail gearbeitet – oder eine ähnliche These, die entsprechend von sich reden machte. Seit langem schon spürt er einer Fulguration dieser Art nach, einem Satz, mit dem dieses Land sich wieder verkaufen ließe. Früher war es der Schutz des Abendlandes, dann der Vielvölkerstaat, die Donau-Föderation ist Illusion geblieben, schließlich war da noch die diplomatische Mission.
    Jetzt ist nur mehr von der Attraktion für zahlende Gäste die Rede, aber ob das den Staat trägt? Ihm geht es schon noch ums Mustergültige. Klein ist schön – aber eine Republik der Intellektual- und Pfründenzwerge würde seine Anstrengung nicht gerade lohnen. Natürlich muß man die Mechanismen kennen, insoweit ist auch er Pragmatiker. Aber irgendwo muß es doch noch einen Schlupf geben, hinauf auf eine höhereEbene. Es sei denn, die Welt hört sich überhaupt auf, ein alter Gedanke, der aufs neue und gründlich bedacht werden muß. Er weiß, daß er sich auf seinen Kopf verlassen kann. Aber ein Kopf braucht nicht Wolken um sich herum, sondern ein helles Klima und ein vorgepflügtes Umfeld, in dessen breiten Furchen er seine Gedanken sprießen lassen kann.
    Seine Karriere ist vorgezeichnet. Die Frage ist nur, ob sich das Vorpreschen lohnt. In der verstaatlichten Wirtschaft wäre sein Fortkommen sicherer, und es gäbe weniger Fragen zur Person. Er hat sich bereits entschieden – bisher. Aber heißt das, daß er sich nun nicht mehr entscheiden kann?
    Wenn die Regierung sich vollkommen um Ansehen und Würde gebracht haben wird, ist die Zeit reif für ihn. Er wird sich etwas einfallen lassen, etwas Watscheneinfaches, auf das nur noch niemand gekommen ist. Gestärkt durch Melas heimliche Liebeskraft, wird er aufsteigen und über dem gesammelten Morast wandeln, er als einziger verschont und von den Lähmungen des in seine Begehrlichkeit verstrickten Zeitalters nicht befallen. Bis dahin aber kann er es sich leisten, sichtbar zwar, aber im Hintergrund der Macht zu stehen.

    Frô hält eine Pflanze in ihrem Zimmer, die bereits über die halbe Wand geklettert ist. Monatelang hatte sie sich nicht vom Fleck gerührt, und Mela war der Ansicht, der Platz behage ihr nicht. Eines Tages jedoch streckte sie einen blassen spiralförmigen Trieb aus, mit dem sie die Mauer nach einer Unebenheit abtastete. Da schlug Frô ihr einen Nagel ein, den die Pflanze bald darauf erreicht hatte. Frô schlug noch einen Nagel ein und spannte eine Schnur, an der die Pflanze sich hochzuziehen begann, und das so rasch, daß Frô sie sich selber helfen ließ.
    Die Pflanze war nun stark genug, um sich Spanne fürSpanne am Spiegelrand festzumachen und von dort – über einer Wandleuchte sich teilend – einerseits auf das Bücherregal, andererseits über den Schrank hinweg auf das eine der beiden Fenster überzugreifen. Das gefiel Frô so sehr, daß sie ihr keinerlei Einhalt gebot, ja sogar bereit war, ihretwegen kleine Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen. Sie öffnete den Schrank nur mehr vorsichtig, und wenn sie in den Spiegel schaute, erschien ihr das eigene Gesicht voller Ranken.
    Mela hatte den Kopf geschüttelt und gemeint, die Pflanze würde sich eines Tages übernehmen, bei der Eile, die sie an den Tag lege, und dann über Nacht in sich zusammenfallen. Aber die Pflanze lebt noch immer, wenn sie auch nicht mehr so schnell, dafür umso gründlicher um sich greift. Frô ist nicht bereit, ihr auch nur einen einzigen Trieb abzuschneiden, und sie hat sie, obgleich das nicht einfach war, sogar mit einem neuen Topf

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