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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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»Und wenn du es doch tust, wirst du von dem besonderen Säpo-Gericht, in dem die Richter schwarze Kapuzen und Totenschädelmasken tragen, zum Tod auf dem Rad verurteilt. Doch im Ernst: Solltest du Fragen haben, ruf einfach an. Du kannst mich jederzeit anrufen, denn ich arbeite oft auch nachts.«
    Als Rune Jansson im Fahrstuhl zu dem unterirdischen Gang fuhr, der die verschiedenen Polizeigebäude miteinander verband, entdeckte er, daß er eher erleichtert als sonst etwas war. Er hatte gelinde gesagt entscheidende Informationen erhalten, und das in der umfangreichsten Mordermittlung, mit der er je befaßt gewesen war. Dennoch war das vorherrschende Gefühl nur Erleichterung. Es war nicht schwer gewesen, Carl zu treffen, den Generaldirektor , auch Schwarzer Admiral oder Hamilton genannt – Rune Jansson wußte nicht genau, wofür er sich entscheiden sollte –, und obwohl sie persönlichen Dingen kaum Zeit gewidmet hatten, war alles sehr glatt gelaufen. Ihn hatte die Vorstellung gequält, ein Vernehmungsobjekt zu treffen, das soeben seine ganze Familie verloren hatte. Dieser Gedanke war ihm kurz und brutal gekommen. Doch Carl – Rune Jansson dachte jetzt an ihn als Carl – hatte den deutlichen Eindruck erweckt, wieder auf dem Weg zurück ins Leben zu sein. Ein paar kurze Sekunden lang hatte er fast gescherzt und beinahe den Eindruck eines ganz beliebigen Menschen gemacht. Rune Jansson hatte sich nicht die Mühe machen müssen, wortreich zu kondolieren, was die Begegnung sehr schwierig gemacht hätte.
    Als er unten durch den Gang ging, erst da, begann er sich mit den unmittelbaren Konsequenzen dessen zu beschäftigen, was er soeben erfahren hatte. Die Einzelheiten befanden sich offenbar sehr ausführlich in zwei Aktenordnern mit geheimem Inhalt, die er unter dem Arm trug.
    Carl hatte noch zwanzig Minuten bis zur ersten Besprechung des Morgens. Er hatte tatsächlich vor, eine umfassende und interne Ermittlung in der Firma anzuordnen, um die höchst bedauerliche Tatsache aufzuklären, daß ein oder mehrere Täter begonnen hatten, Informanten der Säpo zu ermorden. Diese Art der Einholung von Informationen hatte er zwar sehr stark beschnitten, eine Tätigkeit, die aufgrund aller Lügen, die dem Dienst aufgetischt wurden, ebenso unproduktiv wie moralisch zweifelhaft war.
    In Gedanken hatte er das Problem jedoch schon hinter sich gelassen. Er nahm sich genußvoll das zweite Hörnchen vor, das er frisch in einer türkischen Bäckerei auf Kungsholmen gekauft hatte, und goß sich frischen Kaffee ein.
    Er hatte zwanzig Minuten in vollkommener Stille ganz für sich allein. Seit seiner Heimkehr hatte er intensiv daran gearbeitet, das Ermittlungsmaterial für Rune Jansson aufzubereiten. Diese Arbeit erschien ihm besonders dringend, seit er herausgefunden hatte, daß sich in seiner Abwesenheit zwei weitere Morde ereignet hatten.
    Doch jetzt hatte er diese zwanzig Minuten für sich allein. Er schloß die Augen und sah Gesichter vor sich. Wie in einem modernen Videoclip mit blitzschnell wechselnden Bildern, wie sie in den Fernsehkanälen laufen, an denen erwachsene Menschen blitzschnell vorbeizappen, strömten Tessie, Johanna Louise, Ian Carlos, Eva-Britt, seine Mutter und sein Vater, alle Toten an ihm vorbei. Er konnte sie vollkommen klar vor sich sehen, ohne in Panik die Augen zu öffnen und irgendeine Arbeit zu beginnen. Er war überzeugt, sich schon sehr bald bei all diesen Toten zu befinden. Doch im Augenblick erschien es ihm am wichtigsten, Jurij zu sehen, der immer noch am Leben war. Das war das Privileg der Lebenden vor den Toten, daß sie nämlich wichtiger sein mußten.
    Er war selbst mit zum Lefortowo-Gefängnis gefahren, um Jurij abzuholen. Er hatte Larissa im Wagen mitgenommen und einen Atemhauch, der widerlich gewesen war, sowie einige Dokumente. Diese waren vom Präsidenten der Föderativen Russischen Republik unterzeichnet, einem Mann, der schon längst hätte ohnmächtig sein müssen. Jetzt hatte Carl die Dokumente; sicherheitshalber war er noch schnell ins Hotel Metropol gegangen, um die Dokumente dort zu fotokopieren.
    Sie hatten den halben Bojaren-Saal im Hotel Metropol gemietet, mit traditionellem Orchester, amerikanischen Weinen und russischen Liebesliedern sowie allem, was das Haus zu bieten hatte. Sie hatten einen sehr langen und sehr russischen Abend zusammen gefeiert und waren folglich entsetzlich betrunken gewesen.
    Es war vorbei. Jurij lebte jetzt in Barnaul in Sibirien bei seinem Vater; seinen Posten

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