Über jeden Verdacht erhaben
konnte beispielsweise lauten, welcher Angehörige des Personals nicht mehr in Schweden lebte, sondern auf unbestimmte Zeit nach Marbella gereist war. Oder wessen Bruder oder Schwester das getan hatte.
Er empfand es als Ehrensache, diese Arbeit zu vollenden. In der Reihe der Morde, die den gegenwärtigen Säpo-Chef getroffen hatten, gab es nur einen einzigen Mörder oder Mittäter, der sich auf freiem Fuß befand. Einen einzigen. Vermutlich war es ein Mann aus Skåne, vielleicht sogar jemand, der im Polizeidistrikt von Ystad wohnte.
Diesen Mann mußten sie fassen.
Der neue Chef hielt sich immer noch vom Echo des Tages fern. Es ging das Gerücht, er bemühe sich um den Chefposten des Staatlichen Kulturrats. Falls das zutraf, würde er schnell damit anfangen müssen, den Sozialdemokraten zu spielen und erheblich weniger von Unternehmensführung zu sprechen.
Je nachdem, welches Regime in Schweden gerade herrschte, hörten sich die Karrieristen des Landes unterschiedlich an. Das war ein bekanntes Phänomen. Wenn die Sozialdemokraten am Ruder waren, sprachen die Karrieristen von Solidarität, unter den Konservativen von Volkswirtschaft.
Erik Ponti glaubte dem Gerücht, daß der neue Chef seine Flucht ins System vorbereitete. Das Mobbing war erfolgreich gewesen. Die Liste mit der Wette im Bereitschaftsraum, bei der es darum ging, wann und nicht ob er gehen werde, war schon mehr als zur Hälfte ausgefüllt. Schon das war ein gutes Ergebnis. Eine kleine Notiz darüber in den Klatschspalten der Sonntagszeitungen würde seinem Gegner noch mehr Kopfschmerzen bereiten. Der Kampf würde bald siegreich beendet sein.
Die Wette hatte auch die Ausrichtung der Nachrichten beim Echo des Tages beeinflußt. Zwar nicht so, daß die Zuhörer es hätten merken können, und nicht einmal in der Redaktion war es ohne weiteres zu spüren, doch für jeden, der wie Erik Ponti schon Jahrzehnte damit zugebracht hatte, »Nachrichten« zu beurteilen und zu verbreiten, war die Entwicklung deutlich sichtbar.
Manchmal, aber nur manchmal, ist die Verbreitung von Nachrichten ein Kampf zwischen Gut und Böse oder rechts und links. Manchmal, aber auch das nur manchmal, ist die Verbreitung von Nachrichten nichts weiter als eine politische Kampagne. Mit der Form hat das nicht sehr viel zu tun, das glauben nur Außenstehende, Politiker und publizistische Sonntagsredner.
Es hat etwas mit dem Inhalt und der Auswahl von Nachrichten zu tun, nur damit.
Im Moment hatte das Echo des Tages eine politische Kampagne in Gang gesetzt, bei der Erik Ponti einer der energischsten Antreiber war. Das war in Abwesenheit des neuen Chefs leicht getan. Es ging um den Beschluß der Regierung, bosnische Flüchtlinge mit kroatischen Pässen in Bausch und Bogen auszuweisen, insgesamt fünftausend Menschen, darunter zweitausend Kinder.
Der Ausdruck Massendeportation fiel allerdings nicht in den Sendungen. Ein dermaßen negativ besetzter Ausdruck hätte die politische Kampagne als das entlarvt, was sie war. Statt dessen hieß es Abschiebung in großem Umfang.
Für diese Art von Kampf hatte Erik Ponti ein paar einfache Faustregeln. Es war fast immer eine Tragödie, wenn Flüchtlinge, die seit ein paar Jahren zwischen Hoffnung und Verzweiflung in Schweden lebten, ausgewiesen werden sollten. Sämtliche Medien wurden immerzu mit Vorschlägen überhäuft, mal hier, mal dort einzugreifen, um noch ein paar arme Teufel zu retten.
Es galt aber, nur dann in den Kampf zu ziehen, wenn man gute Chancen zu haben glaubte, gegen die Behörden zu siegen. Jede verlorene Kampagne stärkte die Regierung und die Einwanderungsbehörden in ihrer Entschlossenheit, das schwedische Volk dadurch vor Rassismus zu retten, daß man versuchte, die ethnischen Säuberungen möglichst weit zu treiben.
Ethnische Säuberung – das war selbstverständlich auch ein Begriff, der im Zusammenhang mit schwedischer Politik niemals im Echo des Tages fallen durfte. Solche Begriffe nahm man nur bei internen Konferenzen in den Mund, bei denen der Ton oft sehr direkt und offen war.
Mehr als achttausend Menschen befanden sich in Schweden auf der Flucht. Ihre Abschiebung war schon beschlossene Sache. Sie versteckten sich in Kirchen und Klöstern sowie bei Privatpersonen. Dies war der konkreteste und stärkste Ausdruck zivilen Ungehorsams in Schweden. Journalistisch war dieses Problem jedoch schwer in den Griff zu bekommen, einmal wegen des Denunziationsrisikos, zum anderen, weil es nötig war, Stimmen zu verzerren, was
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