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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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zu bleiben. Dann hatte er sich höhnisch lachend wieder in die Untersuchungshaft bringen lassen. Die Anstalt war zu dieser Zeit von Sicherheitskräften umringt, als würde sie belagert.
    Einige Worte, die der Mörder gesagt hatte, hatten auf Wallander einen unauslöschlichen Eindruck gemacht, da sie eine Gedankenwelt beschrieben, die ihm völlig fremd war.
    »Wer nicht Manns genug ist, seine Familie zu verteidigen, ist kein richtiger Mann, sondern ein Haufen Scheiße, eine Schwuchtel, eine gottverdammte Memme, ein Jammerlappen.« Der Mörder hatte diese für seine Verteidigung vollkommen sinnlose Äußerung bei mehreren Gelegenheiten hören lassen.
    Die Dolmetscherin war übrigens bei der Übersetzung sowohl errötet als auch ins Stocken geraten. Sie war jung und süß und sah aus wie eine Nonne in Zivilkleidung.
    Wer nicht Manns genug ist… überlegte Wallander. War es also das, was mit den Morden an Hamiltons Angehörigen hatte bewiesen werden sollen? Weshalb wollte der Mörder dies immer wieder zum Ausdruck bringen? Er selbst hatte eine ältere wehrlose Frau mit einer Schrotflinte aus nächster Nähe erschossen. War das etwa die Tat eines richtigen Mannes?
    Nein, es war ein Flehen an die Vorgesetzten dieses Gangsters, ihn zu befreien; das war die Mitteilung, die er der schwedischen Öffentlichkeit überbringen sollte, um mit einem kleinen goldenen Stern im Buch der Mafia-Verdienste ausgezeichnet zu werden, um sich lieb Kind zu machen und mit einer Befreiung auf juristischem oder sonstigem Weg belohnt zu werden.
    So mußte es sein.
    Der Preis konnte also bis zu einer Million Dollar betragen, und das war entscheidend. Wallander versuchte sich vorzustellen, wie er selbst in der hypothetischen Situation reagiert hätte, daß ihn jemand dazu zu überreden versuchte, ein Verbrechen mit einem sehr geringen Entdeckungsrisiko zu begehen und dafür mit einer ledernen Aktentasche mit einer Million Dollar bezahlt zu werden.
    Er hätte niemanden ermordet, das stand jedenfalls fest. Er würde nie auf einen Menschen schießen. Er hatte es einmal getan und wäre danach beinahe in Alkohol und schlechtem Gewissen untergegangen.
    Aber ein geringfügigeres kleines Verbrechen? Ein bißchen Schmu in einer Ermittlung, damit ein Steuerhinterzieher straflos davonkam, etwas in der Richtung? Entdeckungsrisiko gleich Null. Und dazu eine echte Million Dollar, ein garantiert sorgenfreies Alter, ein besseres Leben für seine Tochter, alles, was man sich nur vorstellen kann?
    Darauf gab es keine Antwort, zumindest keine garantiert ehrliche. Im Augenblick saß er einsam in seiner tristen kleinen Wohnung in der Mariagatan. Er gestand sich beschämt ein, daß sie tatsächlich ziemlich trist war, und beschloß, etwas dagegen zu unternehmen. Doch zurück zur Frage. In diesem Moment saß er also hier, und niemand sah ihn. Ihm gegenüber saß eine Person in einem schwarzen eleganten Anzug mit einer Aktentasche, von der sich herausstellte, daß sie eine Million Dollar enthielt. Und der Mann mit der Aktentasche bat um einen einfachen kleinen Gefallen.
    Nur eine Schlußfolgerung stand fest. Er und seine Kollegen hatten bei ihrer Ermittlungsarbeit mit zu geringem Ehrgeiz gedacht. Sie hatten die finanziellen Verhältnisse einiger in Frage kommender Familien geprüft, mit einer gewissen technischen Fertigkeit hin und her gewendet, da sie Anlaß gesehen hatten, bei dem stets lächelnden Mann ein wenig zu üben. Doch sie hatten nach zu kleinen Beträgen gesucht, nach ein paar hunderttausend mehr oder weniger.
    Das war also vollständig falsch gewesen. Der Preis konnte bis zu einer Million Dollar betragen.
    Er korrigierte sich sofort. Mit einer absurden marktwirtschaftlichen Argumentation versuchte er sich vorzustellen, daß für einen Menschen, der dem eigentlichen Opfer, Hamilton nämlich, so nahe stand wie Frau und Sohn, ein höherer Preis gefordert werden müßte. Was müßte eine Mutter etwa wert sein…?
    Diese Argumentation war eine gedankliche Falle, die sich zudem durch großen Zynismus auszeichnete. Für die Mafia spielte es vielleicht keine Rolle, ob sie eine Million mehr oder weniger ausgab, die Hauptsache war, der Mann, den man töten wollte, wurde getötet.
    Der Betrag mußte so schwindelerregend hoch sein, daß jeder Mensch zum Verbrecher werden konnte. Das war die Logik, die dahintersteckte.
    Folglich würden sie sich mit neuer Anstrengung an die Ermittlungsarbeit machen und unter ganz anderen Voraussetzungen von vorn anfangen. Die erste Frage

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