Über jeden Verdacht erhaben
immer ein unerwünschter Ausweg war. Menschen, die nicht mit eigener Stimme unter ihrem eigenen Namen berichten können, machen wahrscheinlich immer einen zweideutigen Eindruck.
Die fünftausend Flüchtlinge aus Bosnien, die jetzt mit einer Massendeportation bedroht wurden, wären normalerweise keinen Kampf wert gewesen, da Journalisten der gängigen Logik – nicht Moral! – zufolge nur dann in Flüchtlingsangelegenheiten kämpfen sollten, wenn ein Sieg möglich erschien.
Doch dann hatte sich etwas ereignet, was die Voraussetzungen dramatisch verändern konnte. Einige Pastoren in Blekinge hatten die Deutsche Kirche in Karlskrona als symbolischen Schutzraum zur Verfügung gestellt. Ihr Bischof unterstützte sie, und die Bürger begannen, mit Geschenken zur Kirche zu kommen.
Unter der Herrschaft der Konservativen wäre dieses Ereignis beim Echo des Tages vielleicht nicht als »wichtige Nachricht« angesehen worden. Zumindest hätte es in der Berichterstattung keinen breiten Raum eingenommen.
Doch jetzt hatten sie eine andere Zeit, ein anderes Regime, und außerdem war der neue Chef nicht da. Erik Ponti trieb die Sache mit großem Enthusiasmus voran. Pastoren, Flüchtlinge, der Bischof sowie gute Vertreter der Öffentlichkeit – die »bösen« wurden nicht gebeten – wurden im Echo des Tages unter strenger Wahrung der Objektivität interviewt, und die ganze Sache wurde groß aufgemacht.
Da das Echo die Ereignisse in der Kirche groß aufmachte, gab es auch eine entsprechend große Meldung in der Fernsehnachrichtensendung Rapport , ebenso in der zweiten Fernsehnachrichtensendung Aktuellt . Damit schlossen sich natürlich die Abendzeitungen an und brachten Fotos von Pastoren und weinenden Kindern. Das war der Aufhänger der Story.
Der Einwanderungsminister Leif Blomberg verlor schnell seine Urteilsfähigkeit und begann, die Pastoren zu attackieren, weil diese schließlich »Angestellte der Staatskirche« seien. Wenn man ihn richtig verstand, sollten diese in staatlichen Angelegenheiten lieber das Maul halten oder sich zumindest »mit auf demokratischem Wege getroffenen Entscheidungen abfinden«.
Das gute bürgerliche Christentum im Kampf gegen einen alten sozialdemokratischen Gewerkschaftsbonzen. Das war sehr wirkungsvoll und hielt das Feuer am Leben.
Das war wichtig. Es galt, die Story so lange am Leben zu erhalten, daß sie sich schließlich wie ein Flächenbrand ausbreitete und ein eigenes Medienleben entwickelte.
Der Standpunkt der Regierung war nicht sonderlich glaubwürdig, doch es wäre schwer gewesen, einen Gegenbeweis anzutreten. Man behauptete, von der kroatischen Regierung Garantien dafür erhalten zu haben, daß niemand von den fünftausend aus Kroatien ausgewiesen werde. Somit liefen diese Menschen nicht Gefahr, zu dem bosnischen oder serbischen Kriegsdienst gezwungen zu werden, vor dem viele geflüchtet waren. Die Regierung entsandte sogar eine kleine Delegation nach Zagreb, um »untersuchen« zu lassen, wie die Dinge standen.
Für Erik Ponti bestand die Möglichkeit, seine ausländischen Hilfstruppen zu mobilisieren, in diesem Fall den Osteuropa-Korrespondenten, der am Telefon nicht viel zu hören brauchte, um zu begreifen, was Erik Ponti sich vorstellte; selbstverständlich sollte die schwedische Untersuchungskommission nach allen Regeln der Kunst lächerlich gemacht werden. Das geschah auch rund vierundzwanzig Stunden später mit der einfachen Feststellung, daß die schwedischen Delegierten, die den Status bosnischer Kriegsflüchtlinge in Kroatien untersuchen sollten, zu einem offiziellen Essen eingeladen worden seien, einige kroatische Politiker gesprochen und einen Ausflug gemacht hätten. Allerdings hätten sie mit keinem einzigen bosnischen Flüchtling gesprochen, auch nicht mit einem der UNO- Flüchtlingsbeauftragten für Kroatien, und ebensowenig hätten sie auch nur ein einziges Flüchtlingslager besucht.
Ungefähr in diesem Stadium hatte die Geschichte ihre Eigendynamik gewonnen. Für das Echo des Tages ging es nunmehr ungefähr um das gleiche wie für alle anderen. Die Redakteure mußten unter den von Abschiebung Bedrohten so viele empörende Einzelfälle wie nur möglich finden: etwa den Mann, dessen behinderte Tochter in einem Pariser Krankenhaus lag, den Mann, der Gefahr lief, zu einer bosnischen Militäreinheit zwangseingezogen zu werden, von der er geflüchtet war, und der unter Umständen gegen die serbische Einheit kämpfen mußte, in der sein Vater als Zwangsrekrutierter
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