Über jeden Verdacht erhaben
doch richtig. Ich bin nämlich gewohnt, daß meine Morde immer als etwas Edles umschrieben werden können.«
»Keine Gewissensbisse?« fragte der Professor weich.
»Nein«, entgegnete Carl. »Ist unser Gespräch vertraulich? Kann ich dir etwas erzählen, was eigentlich geheim ist, ohne Gefahr zu laufen, daß es später vor Gericht ausgebreitet wird?«
»Mit genau diesem Vorbehalt kannst du es mir erzählen«, sagte der Professor und machte sich eine Notiz.
»Gut. Meiner Ansicht nach könntest du dies nämlich interessant finden. Es ist, in berufsmäßiger Hinsicht, meine ich, so etwas wie ein Schnittpunkt zwischen unseren beiden Welten, der unser Problem erhellen kann. Ich habe vor einiger Zeit in einem fremden Land einen Prozeß wegen Landesverrats miterlebt. Der Angeklagte, der Gefahr lief, zum Tode verurteilt zu werden, war ein Kollege und Freund von mir. Doch die Dinge waren noch komplizierter. Er war angeklagt, mir, oder sagen wir, der Spionage der westlichen Welt, Angaben über die Operateure des eigenen Landes in einem anderen Land zugespielt zu haben. Das hatte dazu geführt, daß ich die fraglichen Personen tötete, überdies mit Unterstützung unserer eigenen Regierung. Dafür habe ich übrigens auch eine dieser besonders begehrten Medaillen erhalten. Doch der Mann, der jetzt angeklagt war, lief wegen seiner Teilnahme an dieser Aktion Gefahr, zum Tode verurteilt zu werden. Er war sich dieses Risikos ständig bewußt gewesen. Er hatte immer gewußt, daß es so enden konnte. Dennoch ging er das Risiko ein, weil er der Meinung war, daß seinem Land mit seinem Handeln am besten gedient war.«
»Wie ist es ausgegangen?« fragte der Professor. Die Dramatik der Darstellung hatte ihn unwillkürlich gefangengenommen.
»Er wurde zwar freigesprochen, doch das war keine Selbstverständlichkeit. Er hätte ebensogut zum Tode verurteilt werden können. Ich bewundere diesen Mann sehr wegen seines Muts. Ich bin der Meinung, daß er richtig gehandelt hat.«
»Und jetzt bist du in der gleichen Situation, meinst du?«
»Ja, obwohl ich nur zwölf oder fünfzehn Jahre riskiere oder das, was bei uns als lebenslänglich gilt. Das hängt natürlich ein wenig davon ab, was für einen Justizminister wir in zehn Jahren haben.«
»Und du bist der Ansicht, es habe sich gelohnt?«
»Ja, und das möchte ich bei dem Prozeß darlegen, bei dem man mich hoffentlich nicht zum Irren stempeln wird. Wie mache ich mich übrigens?«
»Nun ja«, sagte der Professor mit einem listigen Lächeln.
»Sieh mal, das möchten die Patienten immer aus mir herauslocken, besonders die, die ihren Zustand simulieren. Doch im Ernst und sachlich gesehen sieht es so aus: Wir haben vom Amtsgericht den Auftrag erhalten, mit dem vorhandenen Material zu einer Meinung zu kommen. Es besteht in erster Linie aus bekannten Tatsachen über dich. Also keine Psychose bei der Arbeit und so weiter, außerdem gehört auch dieses Gespräch dazu. Das ist alles. Insgesamt ist das ein bißchen dünn.«
»Zu dünn, um mich für ernsthaft psychisch gestört zu erklären?« fragte Carl.
»Genau. Wirklich ein bißchen dünn für eine solche Schlußfolgerung. Was mich während unseres Gesprächs am meisten fasziniert hat, ist eine Frage, die eher philosophischer oder politischer Natur ist als psychiatrischer. Nebenbei bemerkt macht unsere Unterhaltung kaum den Eindruck auf mich, als unterhielte ich mich mit einer ernsthaft psychisch gestörten Person. Das hast du aber selbst schon längst gewußt. Aber, wie du sagtest, die Wissenschaften überschneiden einander und kommen manchmal auch der Politik und allgemeinen Wertvorstellungen in die Quere.«
»Und wie lautet diese Frage?« wollte Carl wissen. Er war erleichtert, offenbar nicht für verrückt erklärt zu werden; und er bereute, sich auf ein so langes Gespräch eingelassen zu haben. Damit war er unnötige Risiken eingegangen.
»Nun, dem Formular zufolge würden wir jetzt zu der Frage kommen, ob eine sogenannte Persönlichkeitsstörung vorliegt.«
»Ein kleines bißchen verrückt, aber nicht genug, um straffrei auszugehen«, bemerkte Carl mißtrauisch.
»Genau. Sehr interessant. Man könnte ja etwa so argumentieren, daß ein Mann, dessen Berufes gewesen ist, für Orden und Medaillen andere Menschen zu ermorden, schon qua definitionem eine gestörte Persönlichkeit haben muß. Da dieses Verhalten so extrem ist, meine ich. Doch dann erhebt sich natürlich die Frage, ob dann das Gesellschaftssystem, das diese Medaillen und
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