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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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böses Vorzeichen hielt. Er zeigte es jedoch nicht, da er nicht als mißtrauisch erscheinen wollte.
    Sie saßen einander in einem der kahlen Besucherzimmer der U-Haft gegenüber. Carl schwitzte heftig, da der Besuch gleich nach dem Ende seiner Trainingsstunde in einem der wie Tortenstücke geformten Bewegungskäfige oben auf dem Dach gekommen war. Carl nutzte diese Stunde von der ersten bis zur letzten Sekunde. Den Wachen der Haftanstalt war es zu einem heimlichen Vergnügen geworden, Carls bemerkenswert imposanten gymnastischen Übungen zuzusehen.
    Die beiden sagten zunächst nicht viel, sondern nahmen gleichsam mit den Augen Maß.
    »Soviel ich weiß, widersetzt du dich einer gerichtspsychiatrischen Untersuchung. Hast du etwas dagegen, mir die Gründe dafür zu erklären?« fragte der Professor schließlich. Seine Stimme war leise und hörte sich professionell verständnisvoll an.
    »Nein, natürlich nicht«, erwiderte Carl und sah dem Professor offen in die Augen, da er sich vorstellte, ein flackernder Blick könnte als Zeichen von Krankheit gewertet werden. »Wie du weißt, habe ich in der letzten Zeit sechs Menschen getötet. Ich bin der Meinung, dafür sehr gute Gründe gehabt zu haben, Gründe, die ich bei einem öffentlichen Prozeß darzulegen gedenke. Ich bin sogar der Meinung, daß meine Gründe so rational waren, so wichtig für mich selbst, für das Verhältnis zwischen Einwanderern und uns übrigen, kurz für unser ganzes Land, daß ich bereit bin, den persönlichen Preis dafür zu bezahlen. Also lebenslange Haft. Eine Voraussetzung ist dabei, daß ich den Prozeß zur Beschreibung des moralischen und politischen Hintergrunds nutzen kann. Über das Juristische gibt es ja nicht viele Worte zu verlieren. Aber sollten deine Kollegen und du sagen, ich sei verrückt, dann…«
    »… würde das deine Argumentation auf entscheidende Weise schwächen«, unterbrach ihn der Professor mit einem Lächeln, das mitfühlend zu sein schien.
    »Ja, das kann man ruhig so sagen«, bestätigte Carl mit einem Kopfnicken. Er ließ sich von dem Lächeln seines Gegenübers anstecken.
    »Besteht denn deiner Ansicht nach ein Risiko, daß man dich für verrückt halten könnte, wie du sagst?« fragte der Professor in dem gleichen leichten Tonfall.
    »Das ist natürlich eine Gewissensfrage«, bemerkte Carl ironisch. »Laß es mich so ausdrücken: Ich habe nicht gerade das allergrößte Vertrauen zu der Wissenschaft, die du vertrittst. Ich freue mich nicht gerade auf das höchst zweifelhafte Vergnügen, vor Gericht zu sitzen und mit deinen Psychologen über meine Kindheit und andere Dinge zu sprechen. Ich habe auch keine Lust, allerlei Tests über mich ergehen zu lassen. Ich unterliege hier keinerlei Beschränkungen und lese die Zeitungen. Und so wie ich es verstehe, würde man es dir nicht gerade übelnehmen, wenn du mich für schuldunfähig erklären würdest.«
    »Nein, damit könntest du sogar recht haben«, brummte der Professor amüsiert. »Aber darf ich dich ganz offen fragen, wie du es selbst beurteilst, ich meine, sechs Personen zu töten. Hast du angesichts eines derart extremen Verhaltens keine moralischen Bedenken?«
    »Wenn ich darauf mit nein antworte, bin ich also ein innerlich verhärteter Psychopath ohne Mitgefühl?« fühlte Carl vor. »Laß mich da auf etwas hinweisen, was eine gewisse Bedeutung haben kann. Ich habe in meinem früheren Beruf eine große Zahl von Menschen getötet. Das ist natürlich immer unter Umständen geschehen, die durch hohe Prinzipien vergoldet wurden, Begriffe wie die Sicherheit einer Nation, der Weltfrieden und ähnliches. Damals sind die Entscheidungen von Personen wie den Präsidenten der USA und der UdSSR in Übereinstimmung mit unserer Regierung getroffen worden, einem schwedischen Verteidigungsminister, einem schwedischen Ministerpräsidenten und so weiter. Wenn man es kraß ausdrücken will, könnte man sagen, daß ich ein sehr fleißiger und tüchtiger Mörder in staatlichen Diensten gewesen bin. Dafür hat man mich mit einer Menge buntem Lametta behängt. Verstehst du, worauf ich mit dieser Argumentation hinauswill?«
    »Ich glaube schon, aber sprich trotzdem weiter«, entgegnete der Professor. »Das ist alles sehr interessant. Ich meine, moralisch interessant, nicht in psychiatrischer Hinsicht.«
    »Danke für diese Einschätzung«, erwiderte Carl. »Ich meine dafür, daß du es genauso siehst wie ich, als eine moralische Frage und nicht als eine medizinische. Also, ich wollte

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