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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Geheimniskrämerei protestiert. In nur wenigen Minuten beschloß das Amtsgericht Stockholm, daß Carl wegen dringenden Mordverdachts in Haft genommen werden solle. Die Frage einer offenen Verhandlung müsse bis zum Beginn des eigentlichen Prozesses anstehen. Carl solle mit sofortiger Wirkung einer gründlichen Untersuchung seines Geisteszustands unterzogen werden. Normalerweise dauerte eine solche Prozedur drei Wochen.
    Doch schon am nächsten Tag ließ Carl über seinen Rechtsvertreter mitteilen, daß er ganz einfach nicht die Absicht habe, sich an der Untersuchung seines Geisteszustands zu beteiligen. Sein Anwalt war ein junger Mann, ein Wirtschaftsjurist, der sich nur selten mit Strafsachen befaßte. Da es weder nach dem Gesetz noch praktisch möglich sein würde, einen Häftling gegen seinen Willen zu einer solchen Untersuchung zu zwingen, schlug Carl deshalb vor, man solle die unnötige Verzögerung einfach überspringen. Er betrachte sich nicht als verrückt und habe absolut kein Interesse daran, den Geisteskranken zu simulieren, um sich so seiner Strafe zu entziehen.
    Dieses Problem, mit dem das Amtsgericht noch keinerlei Erfahrungen hatte, gab den Richtern reichlich Stoff zum Nachdenken. Personen, denen eine lebenslange Freiheitsstrafe drohte, wenn sie für gesund erklärt wurden, zeigten sich normalerweise mehr als kooperationswillig, wenn es um die gründliche Untersuchung ihres Geisteszustands ging. Doch hier hatte man es offenbar mit dem umgekehrten Problem zu tun. Es erschien nicht als empfehlenswerte Lösung, Carl einfach zum Krankenhaus von Huddinge zu transportieren. Es kam den Richtern unangemessen vor, die damit verbundene Aufregung in Kauf zu nehmen, nur weil er sich weigerte, sich untersuchen zu lassen.
    So wurde nach einem Kompromiß gesucht. Der Ankläger in dieser Sache, Staatsanwalt Jan Danielsson, wurde gebeten, einen Vorschlag zu machen. Dieser lief darauf hinaus, daß Carl sich einem Gespräch mit dem vom Amtsgericht eingesetzten Psychiater stellen solle. Carl solle Professor Lars Lidberg persönlich seine Motive darlegen, weshalb er sich der Untersuchung nicht unterwerfen wolle.
    Carl zeigte sich äußerst widerwillig, als Jan Danielsson ihn in seiner Haftzelle aufsuchte, um über den Vorschlag zu diskutieren. Da Carl so einzigartig kooperationswillig gewesen war, als es darum ging, die Ermittlungen zu schnellen und konkreten Ergebnissen zu führen, hatte man ihm keinerlei Beschränkungen auferlegt. Er hatte einen Fernseher und ein Radio in der Zelle und las alle Zeitungen. Darum setzte man absurderweise auch sein Einvernehmen voraus, als es darum ging, ihm eine ernsthafte psychische Störung zu bescheinigen.
    Er hatte den Verdacht, daß ein Wissenschaftler, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm, sich vielleicht damit begnügen würde, ihn nur ein wenig anzusehen, um dann die Expertise abzugeben, die sich außer Carl selbst alle wünschten.
    Jan Danielsson und Carl kamen jedoch gut miteinander aus, da sie keine gegensätzlichen Interessen hatten. Beide wünschten einen schnellen Prozeß mit einem Schuldspruch. Das war natürlich ein höchst ungewöhnliches Verhältnis von Staatsanwalt und Angeklagtem, hatte zwischen den beiden jedoch ein Vertrauensverhältnis geschaffen. Als Jan Danielsson versicherte, er könne sich um keinen Preis der Welt auch nur vorstellen, daß ein Psychiater allein durch ein schnelles »Ansehen« Carl für verrückt erklären könne, dies aber trotzdem die schnellste Lösung des Problems sei, gab Carl widerwillig nach.
    Als der Oberstaatsanwalt ging, erlaubte er sich einen drastischen Scherz: Carl solle sich vielleicht doch hüten, dem Psychiater ein allzu großes Mißtrauen entgegenzubringen, denn Mißtrauen sei ein Charakterzug, dem solche Figuren große Bedeutung beimäßen. Carl verzog bei dieser Bemerkung den Mund, sagte aber nichts.
    Er bat auch darum, man möge ihm helfen, sich vorzubereiten. Jan Danielsson versprach ihm Gesetzestexte und Anweisungen des Zentralamts für Gesundheits und Sozialwesen zu schicken, bevor der Professor ihn aufsuche.
    Als Professor Lars Lidberg ein paar Tage später das Untersuchungsgefängnis Kronoberg besuchte, hatte Carl somit schon Zeit gehabt, sich in das Thema der sogenannten psychischen Störungen einzulesen. Und das, was er in den Texten gefunden hatte, hatte ihn einigermaßen beruhigt.
    Der Professor sah sanft aus, ja sogar wie ein Professor alten Schlages. Sein Blick war verständnisvoll, was Carl im Grunde für ein

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