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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sie falsch aufmachte.
    Er hatte voller Faszination studiert, was die Sprengladung sein mußte, sowie ein Bündel roter, blauer, grüner und gelber Kabel, welche die Sprengladung mit dem Schloß der Tasche verbanden. Möglicherweise war es unverantwortlich, so etwas in seinem Dienstzimmer aufzubewahren, auch wenn er die Tasche eingeschlossen hatte. Der Gedanke, sie zu Hause aufzubewahren, erschien ihm jedoch noch schlechter.
    Er war jetzt so etwas wie Hamiltons back-up . Das ging ihm jetzt auf, und wie immer quittierte er es mit recht gemischten Gefühlen. Wenn es Carl nicht gelang, das zu sagen, was in der Aktentasche steckte, würde es dem Echo des Tages ohne Zweifel gelingen.
    Wie gewohnt hatte Carl ihn manipuliert, und zwar gerade so, wie er, Erik Ponti, es bei seinen Vorträgen vor Journalistenschülern überall im Land selbst hervorzuheben pflegte: So etwas dürfe ein richtiger Reporter nie zulassen. Dennoch mußte er sich damit abfinden. Wie ihm jetzt aufging, hatte Carl es ihm sogar fast spöttisch auf die Nase gebunden, als er sagte, es gebe manche Dinge, die größer seien als das Berufsethos eines Journalisten, zum Beispiel unser Verhältnis zu den Einwanderern.
    Logischerweise sollte er also unermüdlich an den journalistischen Voraussetzungen weiterarbeiten, die in Carls Aktentasche steckten. Nämlich mit der Wahrheit über die Sabotage der Säpo an der Zukunft Schwedens. Denn unabhängig davon, was das Terroristendezernat bei der Säpo glaubte, würden in Zukunft zahlreiche Mitbürger schwarzhaarig sein.
    Das war natürlich die Frage, um die es ging. Erik Ponti hatte eigentlich allen Anlaß, sich optimistisch zu fühlen. Eigentlich mußte er sehen, welche Möglichkeiten er jetzt hatte, etwas aus seinem Wissen zu machen. Dennoch fühlte er sich deprimiert. Es war paradox. Als er vor langer Zeit seine Reporterlaufbahn begonnen hatte, hatte er bei Palestinsk Front gearbeitet, einem gelinde gesagt oppositionellen Blatt. Damals hatten er und die anderen Genossen ohne spürbaren Einfluß unverdrossen mit Matrizen und einfachen Druckerpressen gearbeitet, um der Propaganda des Establishments entgegenzuwirken. Jetzt saß er selbst mitten im Establishment und konnte all das tun, was er damals nicht hatte tun können. Dennoch fühlte er sich müde und resigniert. Die Wahrheit ist immer revolutionär, dachte er. Das war sein Lieblingszitat. Er wußte aber nicht mehr, woher er es hatte.
    Plötzlich hatte er ein ungeheuer schlechtes Gewissen. Carl, der schweigsame und korrekte kleine Genosse von der Clarté, wollte jetzt mit einer lebenslangen Haftstrafe oder dem Aufenthalt im Irrenhaus für etwas bezahlen, wofür, wie er offenbar annahm, Erik Ponti mit der gleichen Selbstverständlichkeit kämpfen würde. Lustigerweise kam Erik Ponti Carl in der Erinnerung immer klein vor, was schlecht zu seinem jetzigen Bild eines Elitesportlers mit gut neunzig durchtrainierten Kilo Körpergewicht paßte.
    In dieser Lage war es wirklich ungehörig, sich müde zu fühlen.
    Der erste Prozeßtag war schauerlich langweilig. Das war die treffendste Zusammenfassung, die den versammelten Medien als Urteil einfiel. Schauerlich im Hinblick auf die scheußlichen Details, die jetzt ans Licht kamen, unter anderem Obduktionsfotos. Langweilig, weil der Prozeß ohne jede Spannung war, weil zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung keine Gegnerschaft herrschte.
    Das bedeutete unter anderem, daß keine Zeugen aufgerufen werden mußten, da die Verteidigung alle Behauptungen des Staatsanwalts akzeptierte, wenn man von einigen pingeligen Korrekturen Carls bei waffentechnischen Fragen absah. Die sachliche Darstellung des Staatsanwalts geriet dennoch erstaunlich schnell, da die Verteidigung sie in keinem einzigen Punkt in Frage stellen würde.
    Oberstaatsanwalt Jan Danielsson und Carl legten überdies eine vertrauliche, fast kollegiale Stimmung an den Tag, die bei einem Mordprozeß wohl einzigartig war. Die beiden duzten sich und traten gelegentlich fast auf, als führten sie ein Gespräch über ganz triviale Dinge. An diesem ersten Verhandlungstag äußerte Carls Verteidiger kaum ein Wort. Es war also zunächst ein von Sensationen sensationell freier Prozeß. Der Prozeß wurde im ersten Programm des Rundfunks direkt übertragen, und die Reporter in dem an den Gerichtssaal angrenzenden provisorischen Studio zwangen sich gelegentlich zu langen, geschwätzigen Kommentaren, mit denen sie im Grunde nichts sagten. Sie wollten damit nur den Eindruck

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