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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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Abenteuerin oder Bekloppte, die Heldin oder die Böse, wahrscheinlich nur eine sehr gestörte, komplizierte Frau. Ich schau rüber zu der Bande Eichen auf der anderen Straßenseite, wie mottenzerfressene Schals hängt das Spanische Moos über ihren gebeugten Schultern, die grauen, knorrigen Burschen stehen zusammen
wie eine Gruppe alter, weiser Männer, die über ein Urteil beraten -
    Die Tür knarrt. Ich drehe mich um, Grama hat einen knallpinken geblümten Keine-Ahnung-was-das-sein-Soll … ein Mantel? …ein Umhang? … ein Duschvorhang? … angezogen. Ihr Haar ist offen und wild und scheint unter Strom zu stehen. Sie trägt Make-up, einen auberginefarbenen Lippenstift, Cowboystiefel für ihre Yetifüße. Schön sieht sie aus und wahnsinnig. Das ist das erste Mal seit Baileys Tod, dass sie abends ausgeht. Sie winkt mir zu, dann geht sie die Stufen runter. Ich beobachte, wie sie durch den Garten schlendert. Kurz bevor sie an der Straße ist, dreht sie sich um, dabei hält sie ihr Haar fest, damit der Wind es ihr nicht in die Augen weht.
    »He, ich geb Big einen Monat – und du?«
    »Soll wohl ein Witz sein. Zwei Wochen, mehr nicht.«
    »Du bist dran, Trauzeuge zu sein.«
    »Geht klar«, sag ich lächelnd.
    Sie erwidert mein Lächeln, aus ihrem königlichen Gesicht blitzt der Humor. Obwohl wir immer das Gegenteil behaupten, hebt nichts die Laune der Walkers so wie der Gedanke an eine weitere Hochzeit von Onkel Big.
    »Mach’s gut, kleine Wicke«, sagt sie. »Du weißt ja, wo wir sind …«
    »Keine Sorge«, sage ich, auf den Beinen spüre ich das Gewicht des Kastens.
    Sobald sie weg ist, klappe ich den Deckel hoch. Ich bin bereit. All diese Zettel, all diese Briefe, die Arbeit von sechzehn Jahren. Ich stelle mir Grama vor, wie sie ein Rezept
aufgeschrieben hat, einen Gedanken oder irgendetwas Albernes oder Nicht-so-Schönes, das sie mit ihrer Tochter teilen oder sich einfach nur selber merken wollte, das sie den ganzen Tag in ihre Tasche gestopft mit sich herumgetragen hat, um dann heimlich vor dem Schlafengehen auf den Dachboden zu schleichen und es in diesen Kasten zu legen, diesen Briefkasten ohne Leerungszeiten, Jahr für Jahr, ohne zu wissen, ob ihre Tochter je etwas davon lesen würde, ohne zu wissen, ob das überhaupt jemand tun würde -
    Ich schnappe nach Luft. Genau das hab ich doch auch getan. Ich hab Gedichte geschrieben und sie in alle Winde verstreut mit derselben Hoffnung wie Grama, dass irgendwer, eines Tages, irgendwo verstehen könnte, wer ich bin, wer meine Schwester war und was uns passiert ist.
    Ich hole die Umschläge heraus, zähle sie – fünfzehn, alle mit dem Namen Paige und dem Jahr darauf. Ich suche den ersten heraus, der vor sechzehn Jahren von Grama an ihre Tochter geschrieben worden ist. Als ich den Finger unter das Siegel schiebe, stelle ich mir vor, dass Bailey neben mir sitzt. Okay , sage ich zu ihr und ziehe den Brief aus dem Umschlag, jetzt lernen wir unsere Mutter kennen.
    Okay, alles ist okay. Ich bin Chaosenzialistin – alles ist okay.

34. Kapitel
    DIE SHAW RANCH hat eine herausragende Stellung in Clover. Ihre Wiesen und Äcker ziehen sich in grüner und goldener Herrlichkeit vom Bergkamm bis hinunter zur Stadt. Ich gehe durch das Eisentor und dringe bis zu den Ställen vor, in denen ich Toby im Gespräch mit einer wunderschönen schwarzen Stute finde, die er absattelt.
    »Ich wollte nicht stören«, sage ich und gehe auf ihn zu.
    Er dreht sich um. »Wow, Lennie.«
    Wir lächeln uns an wie die Idioten. Ich dachte, es wäre vielleicht irgendwie komisch, ihn zu sehen, aber wir scheinen beide ganz schön begeistert zu sein. Mir ist das peinlich, also gucke ich die Stute zwischen uns an und streichele ihr warmes, feuchtes Fell, spüre die Hitze, die ihr Körper ausstrahlt.
    Toby schlägt mir mit dem Ende der Zügel leicht auf die Hand.
    »Ich hab dich vermisst.«
    »Ich dich auch.« Aber mit einiger Erleichterung stelle ich fest, dass kein Flattern im Magen zu spüren ist, nicht mal,
wenn wir uns so in die Augen sehen wie jetzt. Nicht das kleinste Zittern. Ist der Bann gebrochen? Das Pferd schnaubt. Perfekt. Danke, Black Beauty -
    »Wie wär’s mit einem kleinen Ausritt?«, fragt er. »Wir könnten zum Bergkamm hoch. Ich war gerade da. Eine riesige Elchherde zieht da herum.«
    »Toby, eigentlich dachte ich, wir könnten vielleicht mal Bailey besuchen.«
    »Okay«, sagt er ohne Weiteres, als hätte ich ihn gebeten, Eis zu holen. Seltsam.
    Ich geh nie wieder auf den Friedhof,

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