Über Morgen
Schottland und sehe der führenden Profiläuferin dabei zu, wie sie darum kämpft, unter zwei Stunden zehn ins Ziel zu kommen. Dann lade ich neues Laufbuch herunter, das einem beibringt, wie man sich beim Laufen verbessert, indem man sich mehr auf seine innere Einstellung, statt auf seine Beine konzentriert. Aber es ist nicht einfach zu lesen, wenn man dabei ständig die Tür im Auge behält und gleichzeitig noch auf sein GSRcx schielt. Ich frage mich, ob Theo Schwierigkeiten hat, mir eine Nachricht zu schicken. Ich hätte ihm einfach meine Box-Nummer geben sollen. Vielleicht schickt er mir ja seine. Weitere fünfzehn Minuten verstreichen. Ich lese, wie wichtig es ist, seine Fußgelenke zu lockern.
Über eine Stunde später kommt ein Pieps. Es ist Theo. Er hat eine Nachricht geschickt.
Machst du am Sonntag beim Strandlauf mit?
Ich schicke Jacke, Apfel zurück.
Super. Derjenige, der als Letzter durchs Ziel kommt zahlt die Drinks? orange, Katze.
Zuhause ist Gab immer noch in ihre Decke eingewickelt und isst Milchschokolade.
„Warum tanzt sie nicht?“, frage ich Danny.
„Jetzt kommt gleich die nächste Folge von ‚The Biggest Loser’.“
„Ach so, verstehe.“
Die Stadt veranstaltet jedes Jahr einen Wettkampf, um herauszufinden, wer in zwei Wochen am meisten abnehmen kann. Gab ist letztes Jahr Zweite geworden. Ihre Strategie sieht aus wie folgt: Sie nimmt vor dem Wettkampf möglichst viel zu, trinkt vor dem Wiegen zusätzlich drei Liter Wasser und lebt die verbleibende Zeit von trockenem Brot und Tanzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mum das befürwortet. Aber naja ...
„Wenn sie gewinnt, dann ist der Urlaub gesichert?“
„Genau. Die Gewinnsumme beläuft sich auf etwa tausendeinhundert Euro.“, sagt Danny stirnrunzelnd.
„Stimmt etwas nicht?“
“Ich will nicht wegfahren.“
„Warum?“
„Fliegen – dass ist doch nicht normal.“
„Weißt du, als ich aufgewachsen bin, sind die Leute ständig irgendwohin geflogen. Du bist auch geflogen, auch wenn du dich jetzt wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern kannst. Die Leute sind zum Beispiel nach Schottland geflogen. Stell dir das mal vor.“
„Wirklich?“
„Na klar. Damals gab es natürlich auch noch kein virtuelles Reisen. Sprichwörtlich jeder, der in Urlaub gefahren ist, ist irgendwohin geflogen. Naja, fast jeder. Und es gab auch kein Netzwerk und Autos konnten immer noch Unfälle bauen. Es war sicherer zu fliegen. Also, es ist heute immer noch sicher zu fliegen. Das wird dir bestimmt gefallen.“
„Ich bin mir da nicht so sicher ...“
„Denk doch nur mal an die Aussicht, die du von einem Flugzeug auf das Netzwerk haben wirst.“
„Kann schon sein.“
„Und denk an die phantastischen virtuellen Reisen, die die Leute machen können, wenn du zurückkommst. Und das nur, weil du so mutig warst und wirklich weggefahren bist.“
„Das stimmt schon. Und die ganze Kohle, die wir damit machen können.“ Er runzelt die Stirn.
Vor dem Schlafengehen zaubere ich noch eine Ladung Schmalzgebäck für Mum und Dad. Ich versuche sie in der Form von Haus, Orange, Fisch, Fisch, Nuss, Uhr, Nuss, Gitarre zu machen, aber am Ende schauen einige davon einfach nur quadratisch aus und die anderen sind rechteckig geworden.
Am nächsten Tag liegt mein biologisches Alter bei 27.
An der Uferpromenade ist es frisch und klar und die Temperaturanzeige meines GSRcx zeigt neun Grad Celsius an. Der Wind kommt aus Nord-Ost, aber heute nur mit elf Stundenkilometern, also kaum zu spüren. Ich trage Laufhosen und ein altes Baumwoll-T-Shirt. Natürlich habe ich auch Oberteile aus atmungsaktiven Microfasern, die in vielerlei Hinsicht sehr viel besser wären, als die aus Baumwolle. Sie würden mich warm und trocken halten, um nur eine Sache zu nennen. Aber um es auf den Punkt zu bringen: In Baumwolle sehe ich einfach besser aus und sie riecht auch nicht so stark. Es ist natürlich alles andere als ideal, sich nach einem Rennen zu einem Date zu verabreden, aber was soll ich tun? Regnete es, so würde ich mir die Sache noch einmal überlegen, aber es regnet nicht.
Nur noch fünf Minuten vor dem Startschuss und Theo ist immer noch nicht in Reichweite. Ich habe mich bereits aufgewärmt und war auch noch einmal austreten. Mein Stresslevel liegt bei 3,7, also im gängigen Bereich für ‚nervös’ oder ‚aufgeregt’. Jetzt muss ich einfach nur so tun, als existiere Theo nicht und mein Rennen ganz normal laufen. Nicht, dass ich eine Expertin darin wäre. Das
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