Über Morgen
schloss für einen Moment die Lider. „Error“, schnarrte die weibliche Computerstimme. „Ein möglicher Befehl kann nicht mehr erkannt werden. Bitte öffnen Sie die Augen, Mister Karanev, oder begeben Sie sich umgehend zu Bett, damit ich eine StandBy-Schaltung des Systems vornehmen kann.“
„Ich bin nicht müde genug.“ Er wusste nicht mehr, wie oft er diesen Satz schon gesagt hatte. Und wie so oft lautete die Antwort: „Das kann ich nicht bestätigen. Die letzte Pupillenreflexmessung ergab eine verminderte Reaktionszeit, Ihr Herzschlag und Ihr Blutdruck zeigen alle Anzeichen von Müdigkeit. Öffnen Sie bitte die Augen oder gehen Sie unverzüglich ins Bett.“
Alexin hasste die Stimme, die ihn dazu zwang, die Lider zu heben. Und er tat es tatsächlich. So oft hatte er sich vorgenommen, das System neu zu programmieren und die KI weniger wie ein Gefängniswärter agieren zu lassen. Er vergaß es immer wieder.
„Danke, Mister Karanev“, ertönte es wesentlich freundlicher und belohnender. Alexin erhob sich und zog die Hose hoch, wusch sich die Hände und schlurfte durchs Haus. Sein kleiner Widerstand. Er wollte sich nicht hinlegen, nur weil die KI der Meinung war. Sicherlich, sie hatte Recht. Er WAR müde.
Aber er wollte sich nicht beugen.
Sensortechnologie in Kopplung mit KI hatte ihn zum willigen Abhängigen von behütender Technik gemacht. Die eine Hälfte der Menschheit leidet an Mangel, die andere unter ihrer Faulheit. Morgen lasse ich den Computer endlich korrigieren, dachte er.
Alexin war durch seine Idee reich geworden. Sehr reich. Er hatte seine Zeitberechnungendem Zarger-Vorstand vorgelegt, und der hatte daraufhin Fertighäuser auf den Markt gebracht, die mit Sensoren gespickt waren. Zusammen mit einer nie dagewesenen Marketingkampagne waren Nachrüstsätze auf den Markt geworfen worden. Das denkende Haus, ob neu, ob alt. Vorauseilender Gehorsam der eigenen vier Wände: „Sie denken es erst, Ihr Haus tut es bereits!“
Mit der Gewohnheit war die Abhängigkeit gekommen. Und wie schwer sich der Mensch tat, aus einer Abhängigkeit zu kommen, bewies Alexin jeden Tag. Sicher: Er hätte die Sensoren der KI in dieser Sekunde einfach ausschalten und wachbleiben können.
Klar: Er hätte leben können wie früher.
Aber natürlich: Sein Dasein hätte auch ohne die technische Annehmlichkeiten funktioniert.
Hätte.
Wie ohne Kreditkarte, ohne Fernseher, ohne Mails ...
Hätte.
Unbewusst war er ins Schlafzimmer gegangen. Er stand vor seinem Bett.
Das Licht war bereits gedimmt, ein Aromaspray sorgte für die Illusion von frischem Meer, die Boxen fluteten den Raum mit falscher Brandung.
Über dem Bett leuchtete der Spruch des Tages in digitalen Bilderrahmen, der willkürlich aus einer gigantischen Zitatesammlung ausgesucht wurde: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten unmündigkeit. Jean-Jacques Rousseau.“
Alexin schauderte, rieb sich über den Arm. Gänsehaut. Müde legte er sich ins Bett und dachte darüber nach, wann er die KI in seinem Haus abschalten und nur noch stumme Sensorenfreundlichkeit haben wollte. Der Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Er schlief ein, bevor er zu einem Entschluss gekommen war.
Der US-amerikanische Autor und Medientheoretiker Douglas Rushkoff hat bislang acht Bücher veröffentlicht, darunter auch sein schnell zum Cyperpunk-Klassiker avanciertes Debüt-Werk „Cyberia“. Als Teil der Cyberpunk-Bewegung pflegte der studierte Regisseur enge Kontakte mit dem ‚Iluminatus!‘-Erfinder Robert Anton Wilson, verfasste seit den frühen 1990ern zahlreiche Kurzgeschichten und Dokumentationen zum Thema Technologie und Subkultur und war als Berater unter anderem für die Vereinten Nationen tätig.
Aktuell arbeitet Douglas Rushkoff an einer Dissertation über Neue-Medien-Kenntnisse für das ‚New Media Program‘ der Universität Utrecht.
Der britische Autor und Furturist Ray Hammond hat seit 1980 bereits 16 Bücher über die Zukunft geschrieben, die im englischsprachigen Europa und in Nordamerika veröffentlicht wurden. In seinem 1986 erschienen Buch „The Modern Frankenstein“ wurde erstmals die Wichtigkeit von Gentechnik, Klonen und die massenhafte Verbreitung von super-intelligenten Maschinen im 21. Jahrhundert prognostiziert. 2007 wurde er zum Mitglied der renommierten World Innovation Foundation ernannt, zu deren Reihen 91 Nobelpreisträger zählen.
Hammond lehrt heute an der Universität Oxford und an der Cass
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