Über Stock und Runenstein
amerikanischen Realisten Grant Wood. Hilda hat nie geheiratet,
da sie von den Männern generell wenig hält; ihr mehr als biblisches Alter führt
sie außer auf die arterienputzenden Vitamine ihres Selbstgebrannten Schnapses
darauf zurück, daß sie kein Ehemann unter die Erde geärgert hat. Nur
unterstützt vom leicht schwachsinnigen Knecht Spurge Lumpkin erwirtschaften
Tante und Neffe auf der seit Menschengedenken im Familienbesitz befindlichen
Farm gerade noch ihren Lebensunterhalt, und auch das nur, weil der entfernt mit
ihnen verwandte Professor Timothy Arnes gelegentlich mit College-Studenten bei
Aussaat und Ernte hilft.
Der Tod des Knechts Spurge, der den
Höhepunkt einer Serie boshafter und gemeiner Streiche und Anschläge darstellt,
ist nicht nur menschlich ein großer Schock für die Horsefalls, sondern bedeutet
wahrscheinlich auch das wirtschaftliche Ende für sie: Arbeiter sind für die
Landwirtschaft noch schwerer zu bekommen als Land. So gibt es drei gewichtige
Gründe für Professor Shandy, MacLeods Seriendetektiv in den Balaclava-Romanen,
sich in das Geschehen einzuschalten. Zum einen ist er nach zwei erfolgreich
gelösten Fällen als würdiger Nachfolger des legendären Sherlock Holmes
anerkannt; wenn der Nichtraucher Shandy seine Frau um Abendpfeife und -pantoffeln
bittet, bietet sie ihm gleich die berühmte Violine und die berüchtigte
Injektionsnadel dazu an. In dieser Rolle kann er den Mord an Spurge, den die
Polizei nicht als solchen gelten lassen will, natürlich nicht auf sich beruhen
lassen. Zudem ist es ausgerechnet sein alter Freund und Kollege Timothy Arnes,
der ihn wieder zu Hilfe holt, nachdem er auch in die beiden früheren Fälle
unschuldig verwickelt war. Als Shandy hört, daß der so grausig zu Tode
gekommene Spurge Lumpkin zusammen mit einem Vetter Erbe der restlichen
Ländereien seiner Familie war, der die Orte Lumpkinton und Lumpkin Corners ihre
Namen verdanken, ahnt er rasch den Zusammenhang und damit das wahre Motiv:
Spurges Tod stellt offensichtlich gleich zwei Landkomplexe zur Disposition der
Baulöwen und Makler, und das Zubetonieren besten Ackerlands ist in den Augen
des Landwirtschaftsprofessors Shandy ein Verbrechen, das gleich hinter Mord
rangiert.
So gibt er sich sogleich daran, das
verwickelte Netz aus Serienanschlägen, Familienbeziehungen, Erbintrigen und
geplantem Bauernlegen zu entwirren, wobei auch die weitverzweigten Sippen der
Horsefallschen Großneffen und — nichten keineswegs unverdächtig sind. Shandy
kennt die bäuerliche Welt zu gut, um nicht zu wissen, daß der tägliche
Existenzkampf, die drohende Proletarisierung durchaus ein Motiv sein können,
Hilda und Henny gewaltsam auf ein — objektiv wohlverdientes — Altenteil zu
drängen. Die Tatsache, daß Spurge Lumpkins Tod die Horsefall-Farm zur
Touristenattraktion gemacht hat, erleichtert die detektivischen Bemühungen
nicht gerade, zumal dieses eher makabre Interesse durch einen sensationellen
Fund legitimiert wird: Exakt im selben Moment, in dem Spurge Lumpkin zu Tode
kommt, macht sich ein junger Reporter unter Hildas Führung an die Freilegung
eines vergessenen Findlings mit angeblicher Runeninschrift. Das bringt den
legendären College-Präsidenten Svenson auf den Plan, der nun endlich die
Superiorität seiner skandinavischen Vorfahren, was die Entdeckung Amerikas
angeht, auch in Balaclava County zu beweisen hofft. Ja, mehr als das:
Vielleicht gehen die in der Gegend traditionellen Vornamen wie Hengist und
Canute sogar auf eine normannisch-angelsächsische Besiedlung zurück? Zufällig
ist Svensons 102jähriger Großonkel Sven anwesend, der als Experte für nordische
Geschichte die Inschrift nicht nur entziffert, sondern sie anhand des Runentyps
und neben dem Stein ausgegrabener Wikingerrelikte sogar in die Zeit von Sven
Gabelbart und Knut dem Großen und damit in die Zeit Leif Eriksons persönlich
datiert.
Allerdings enthält die Inschrift einen
rätselhaften Fluch, der sich in weiteren Unglücksfällen, darunter die
plötzliche Levitation Sven Svensons, zu manifestieren scheint. Nun ist das
Publikum vollends nicht mehr zu halten, wobei hinzugefügt werden muß, daß die
Farm an einer Landstraße liegt, die vom eher »trockenen« Massachusetts nach New
Hampshire führt, wo der Schnaps nicht nur billiger ist, sondern auch an
Wochenenden verkauft werden darf. So sind die Besucher in der Regel beim
Eintreffen auf der Mordfarm oder am Fluchstein nicht mehr ganz nüchtern. Gegen
diese direkte Wirkung
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