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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Zigarette. Er nahm drei Stück aus der Schachtel und bot mir eine davon an. Dann sagte er: »Chuck.« Er zeigte auf den Mann mit dem Kopftuch: »Das ist Paul«, sagte er. Es klang wie ein enthülltes Geheimnis.
    Chuck, dachte ich. Dass Chuck jetzt neben mir saß und mit durstigen Zügen rauchte, machte mich auf eine verrückte Art sicherer. Ich sah die Frau im Faltenrock an; ich sah einen Ernstin ihrem Gesicht, etwas wie Geschichte, ein stolzes Misstrauen, das nicht mir galt, sondern der Welt. »Das ist Zebra«, sagte Chuck, und Zebra verzog den Mund. Jetzt sah ich auch den lehmbraunen Dackel mit dem hängenden rechten Ohr, der auf Zebras Füßen lag. Die Frau mit der Glatze war von ihrem Barhocker herabgestiegen; ich sah noch, wie sie den Hang zum Bismarckdenkmal hinaufwankte und kurz darauf blicklos wieder in die Runde trat.
    Der Mann im Kunstledermantel stellte sich selbst vor. »Zork mein Name«, sagte er großspurig und verbeugte sich mit alberner Eleganz. Ich sah den hellblonden, bienenartigen Pelz, der ihm Wangen und Scheitel bedeckte, entzifferte auf dem Stück T-Shirt, das der Mantel freigab, die Buchstaben BE.
    Mit angelegten Armen schlüpfte er aus seinem Ledermantel; auf seinem T-Shirt stand jetzt I WANNA BE YOUR DOG. Es war Mittag geworden; die Sonne malte ihm dunkle Schatten in die tiefsitzenden Höhlen, ließ die hellen Augen funkeln. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten«, fragte er mit listiger Wut.
    Das Getränk trieb mir die Augen aus dem Kopf.
    »Gabba«, brummte Zork und erläuterte, als ich ihn fragend ansah, mit einem Anflug von Überdruss: »Gatorade-Bacardi.«
    Sein Lächeln, fand ich, sah gefährlich aus; die hochgezogenen Mundwinkel unter dem Kosakenschnurrbart, der kahle Schädel. Ich scheute mich, hinzusehen. Ich blickte in den Himmel über der Brücke, der jetzt joghurtfarben und dickflüssig geworden war, als der Mann mit dem Kamelhaarmantel erschien.
    Mein Schock dauerte nur Sekunden. In meinem Beruf gewöhnt man sich schnell das Staunen ab. In meinen Beruf wird jedesStaunen bestraft, bis hin zur Exkommunikation, bis hin zum genervten Blick. Ich rief mir Gesine Speyerlings Erzählungen ins Gedächtnis, die Legenden von dieser nomadischen Existenz, die alles Sesshafte in Zweifel stellte; Gesines vergebliche Anläufe zur ironischen Betrachtung, die sofort in der Bewunderung verendeten.
    Ich weiß nicht, wie ich mir die Wohnung eines namenlosen, umherschweifenden Künstlers vorgestellt hatte – eine Hotelsuite im vierunddreißigsten Stock des Plaza , eine Bahncard 100 erster Klasse, wenigstens ein Hausboot im Überseehafen, wimmelnd von geisterhaften, mürrischen Katzen? Mit einer Matratze unter einer Brücke hatte ich nicht gerechnet. Doch als der kurze Schock vorbei war, fragte ich mich: Warum nicht?
    Ich sah zu, wie seine Gefolgschaft ihn begrüßte. Niemand schien ihm übertrieben viel Ehrfurcht zu schenken. Die Hierarchie sah eingeübt aus, selbstverständlich, nicht mehr der Rede wert. Ich blickte in die Gesichter, die zerfressen aussahen von einer Gewalt, die ich nicht kannte, deren Herkunft sich nicht entscheiden ließ, die aus dem Ruhm kommen konnte wie aus der Missachtung.
    Ich wusste, dass das gute Leben den gleichen Schaden anrichten konnte wie das schlechte. Die Liebe und der Suff, die reiben den Menschen uff , pflegte mein Niederlausitzer Onkel Georg zu sagen, bevor er mit einundsechzig im Bett einer dreiunddreißigjährigen Tierarzthelferin zusammenbrach. Engelsmacht und Teufelsgift hatten die gleiche zerstörerische Wirkung. Nur das laue Leben, der mittlere pH-Wert der Ereignisse, ließ die Haut intakt.
    Ich fragte mich, welche Rolle diese Ungewaschenen im Lebendes Kamelmanns spielten. Waren sie seine Verehrer, seine Gehilfen, seine Parasiten, seine Scouts? Hatte er Sex mit ihnen, oder hatten sie sogar Sex mit ihm? Waren sie zu ihm gepilgert, oder hatte er sie rekrutiert? Oder waren sie einfach Menschen wie ich, die wussten, dass es wärmer und heller ist in der Nähe der Strahlenden, der Glühenden?
    Ich sah sie an. Ich beobachtete die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren Platz im Kreis des Kamelmanns fanden. Ich spürte ihr Selbstbewusstsein, das ihnen die Gewissheit gab, am richtigen Ort zu sein. Ich merkte, wie mein anfänglicher Ekel einer anderen Beklemmung wich, meiner vertrauten Furcht, nicht zu genügen, nicht die richtige Sprache zu sprechen. Mit leisem Erschrecken merkte ich, dass ich schon anfing, auf die Achtung dieser kaputten Geschöpfe Wert zu

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