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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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fasste den sinnlosen Entschluss, mich zu verteidigen, als ein mächtiges Röhren meinen Vorsatz zerschnitt.
    Zebra war auf das Pflaster gesunken. Die Hände krampften sich in den Schritt ihres Faltenrocks. Ich hörte Gekicher um mich herum, dann Zorks entsetzliches, schneidendes Keckern, das bald ebenfalls in ein Stöhnen überging. Schließlich stöhnte die ganze Runde.
    »Ist gut, Zebra.«
    Es war Schmiddels Stimme, die das Geheul unterbrach. Dankbar registrierte ich ihre Sanftheit, ihre zerstreute Ungeduld; dankbar schloss ich die Augen. Ich war erschöpft; ich konnte nur noch sitzen bleiben, im Hall der Autos unter der Brücke, im Dröhnen der Autos auf ihr. Die Autos bewegten sich an meiner Stelle, und ich brauchte nichts mehr zu tun.
    Als ich die Augen wieder öffnete, war alles vorbei. Chuck kramte in einem Kinderwagen. Paul war in ein Buch vertieft: »Adel des Geistes«. Zebra hatte sich auf das Matratzenlager in der Tiefe des Brückengewölbes getrollt. Schmiddel war verschwunden. Nur Zork starrte mich noch an mit seinem stechenden, feindlichen Blick. Weit unten, über den Landungsbrücken am Fluss, leuchtete ein Fetzen blauen Himmels wie ein Stück Côte d’Azur durch die Risse, die zwischen den Märzwolken aufgebrochen waren.
    Mein Fahrrad stand noch am Café. Im Blickschatten eines Bullys öffnete ich das Schloss. An meinem Tisch saß jetzt ein Pärchen; ihr Schweigen erfüllte mich mit leisem Zorn. Ich fand, mit ihrem Schweigen hatten sie das Recht verwirkt, an einem Tisch zu sitzen, an dem gerade etwas geschehen war, von dem ich noch nicht genau wusste, was es war.
    Als ich nach Hause kam, hielt Patrick seinen Mittagsschlaf.Ich tastete mich an das Bett heran; es roch nach Patricks Duschgel. Im Licht, das durch die Jalousien drang, leuchtete die Bettdecke in fast unnatürlichem Weiß. Es war, als wäre Patrick zum Eisberg gefroren, zum Denkmal für alles Weiße und Reine. Ich sah, wie sich der Berg hob und senkte, und mich packte der Wunsch, dieses Weiß zu schänden, mich darin zu waschen und es zu mischen mit meinem Schmutz.
    Meine Hand war kalt. Bei der ersten Berührung regte sich Patricks harter Schopf unter der Decke. Ich hörte ein leises, geisterhaftes Stöhnen, das zur Wucht dieses Berges nicht passte. Als meine Hand hinter den Bund seines Frottee-Pyjamas fuhr, war sie noch immer so eisig, dass seine Augen schlagartig aufsprangen. Fast beleidigt sah er mich an.
    Als Patrick sich auf den Rücken legte, hatte er die Augen wieder geschlossen. Das Lächeln um seinen Mund war spöttisch, aber fiebrig. Ich legte mich ins Zeug; meine Knie pressten seine Flanken, bis ihm Schaum in die Mundwinkel trat. Als er kam, riss er die Augen auf, als hätte er eine Erscheinung gesehen.

5
    Die Einladung zur Präsentation von Greystoke, auf der Baustelle der zukünftigen Elbphilharmonie, war in Betongrau gehalten. Die Schrift war elefantengrau. Sogar der Shuttlebus, der uns an der Stadthausbrücke erwartete, war grau lackiert, garniert mit einem diskreten roten Blitz. Ich saß auf der Rückbank, starrte auf routinierte Rücken, die sich über Gästelisten und Ablaufpläne beugten.
    »Einundzwanzig Uhr Empfang und Begrüßung auf der Plaza«, las ein Mann mit Hosenträgern und strenger Lesebrille neben mir vor. »Einundzwanzig Uhr fünfzehn Präsentation im Konzertsaal. Solche Zeitpläne sollten die mal für die Bauarbeiten machen.«
    »Wer soll die denn machen«, mischte sich eine strohhaarige Eule von der Bank hinter mir ein. »Nostradamus.«
    »Gute Idee«, sagte der Mann mit der Lesebrille. »Führt der König von Frankreich die drei roten Heere ins Land der Hirschkuh hinein«, improvisierte er, »dann wird auch die Elbphilharmonie bald fertig sein.«
    Ein grauer Mann mit Bauhelm klemmte mir einen grauen Badge ans Revers meines Blazers, darauf die Aufschrift Greystoke in Rot. Das verschlungene Kursiv erinnerte mich an Edelseifen und Frisiersalons.
    Wir marschierten an ausrangierten Hafenbecken entlang, anbeurlaubten Schonern, überdacht von Plexiglasbalkonen mit Bäumchen und Holzjalousien. Der Pförtner lächelte uns an wie ein überführter Mörder; er nahm die Zigarette nicht aus dem Mund.
    Der Bau erinnerte mich an Godards »Le Mépris«, an die Villa Malaparte auf Capri, die Villa des Produzenten Prokosch, die atemberaubendste Location aller Zeiten. Diese Villa war kein Haus, sondern ein Kopfsprung, mit geöltem Leib in azurblaue See; der Bug einer Yacht, der sich jauchzend und mit sattem Klatschen ins

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