Ueberdog
immer gefällt mir die Idee, das Licht zu reflektieren, zurückzuwerfen, zu vervielfältigen und zu verteilen über unsere schattige Welt.
So begann ich zu fotografieren.
Lange hatte ich keinen Begriff gehabt für das Licht, das ich überall suchte. Ich suchte es auf Galas und Empfängen, bei Premieren, Präsentationen und Modenschauen, bei den Eröffnungen von Rosspfahl oder Supp Contemporary , beim Siebenjährigen im Planet Pöseldorf , bei der Eritrea-Charity im Plaza .
Meine Tante Simone, Hochschulpfarrerin in der Evangelischen Studentengemeinde, hatte eine Pastorin aus mir machen wollen. Sie nahm mich zu Kirchentagen mit und an die Resopaltischevon Evangelischen Akademien. Ich sah nur ungeschickt gekleidete Menschen mit blitzenden Brillen und einen ungepflegten Mann am Kreuz, der alle Haltung aufgegeben hatte.
Tante Simone hatte keinen Sinn für Engel. Engel waren für sie Weihnachtsmerchandising, körperlose Schülerlotsen, Weltraumschrott, hinterlassen von vermoderten Generationen. Aber sie überließ mir all die Bücher, die sie in ihrem Theologiestudium am gründlichsten gelangweilt hatten. Mit meiner Begeisterung hatte sie nicht gerechnet.
In diesen Büchern fand ich die Worte für mein Verlangen. Schon die Namen der Autoren, aristokratisch und stolz, flößten mir Vertrauen ein: Thomas von Aquin, Hildegard von Bingen, Johannes Scottus Eringena, Bernhard von Clairvaux. Sie konnten mir die Macht erklären, die Wesen wie Minou Farnese oder Winston Caracallo über uns hatten; den Segen, den sie austeilten und verweigerten; ihr Schweben, ihr beständiges Auf und Ab an unsichtbaren Leitern. Sie konnten den Kosmos erklären, den die Engel für uns ordneten und geometrisch einteilten, konzentrisch, in Unten und Oben, in Drinnen und Draußen. Sie wussten, dass die einen gereinigt werden, die anderen reinigen, dass die einen erleuchtet werden, die anderen erleuchten und dass die einen vollendet werden und die anderen vollenden . Und sie bestätigten meinen Verdacht, dass die Engel aussahen wie wir selbst, nur schöner und vollkommener. Menschenkörper hatten sie angenommen: nicht für sich selbst , sondern um unseretwillen .
Ich lernte den geheimnisumwitterten Dionysius Aeropagita kennen, der angeblich als Erster die Ordnung der Engel beschrieben hatte: Sie bringen das Schöne in die Welt, hatte er geschrieben, und das Schöne ist auch das Gute. Für alle Wesen ist also dasSchöne und Gute ein Gegenstand des Erstrebens, der Sehnsucht und Liebe . Und das Gute verkörpert sich im Licht.
Ich wusste, dass es nur die guten Menschen sind, denen sich die Engel nähern; ihre Aufgabe ist es, einige Menschen zum Ziel zu führen . So war die Nähe der Engel ein Beweis meiner Tugend, und ich hielt mich in ihrer Nähe.
Und ich begann ein Studium in der Fotodesign-Klasse von Merve Francini. Ich wollte alles wissen, um eine gute Diplomatin des Schönen zu sein. Das Schöne, hatte ich erfahren, blitzt in alle Dinge seine Schönheit bewirkenden Mitteilungen des Strahlquells hinein . Blitze, die Schönheit erzeugen – gab es eine schönere Beschreibung für das, was mir vorschwebte?
Manchmal bildete ich mir ein, dass Bilder die Engel erst wirklich machten; dass auch meine Bilder ihnen halfen, Gestalt anzunehmen. Engel waren ja Erscheinungen, aus Licht und Glauben geboren; wenn sie menschliche Form annehmen wollten, kondensierten sie ihre Körper aus der Atmosphäre. Ich wusste, dass ich ins Leere greifen würde, wenn ich einen dieser Körper berührte, auch wenn ich Fleisch tasten würde, Seide und Make-up. Meine Bilder aber entfernten noch die letzten Reste ihrer Körperlichkeit; das, was sie den Begrenzungen von Schwerkraft und Stoffwechsel unterwarf.
Ich wusste, dass Hierarchien die Leitern sind, auf denen wir uns dem Göttlichen nähern. Es sind Hilfen zum Aufstieg, wie Bonaventura sagt. Jeder erleuchtet den, der unter ihm steht, und wird selbst erleuchtet von dem, der über ihm steht. Jeder reinigt und wird gereinigt, macht vollkommen und wird vollkommen. Wie, hatte auch ich mich immer gefragt, kämen wir in den Himmel, wenn der Raum zwischen ihm und uns leer wäre? OhneMeilensteine, in die Sphären gerammt, auf die man unterwegs den Fuß setzen kann?
Die oberste Klasse der Engel sind die Seraphim. Sie wohnen noch jenseits der Fixsterne. Ihre Hitze beheizt auch die niederen Sphären; man nennt sie auch »Entflammer« und »Glutentfacher«. Daher können sie ein Absinken zu einem in irgendwelcher Beziehung Geringeren
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