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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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in Ausschnitte von Turntrikots gequetscht. Wenn ich an Nina dachte, fiel mir bald nicht mehr ihr Gesicht ein, sondern die Gesichter auf ihren Fotos – die Strähnen über dunkel gerahmten Augen, die patzig gepressten Münder,die zerwühlten Frisuren, die überschminkten, überquellenden Lippen, dazwischen Zigaretten mit streichholzlangem Ascheschwanz. Mir fielen bleiche, blaugeäderte Bäuche ein, darauf die Worte SAD und HAPPY mit Lippenstiftschrift, umrankt von verwischten Unendlichkeitszeichen, und nackte, schutzlose Beine, dünn wie junge Birken, die aus grindfarbenem Teppichboden wuchsen. Ich erinnerte mich an daumenlutschende Schönheiten in Embryohaltung, an lässige Typen auf pockigen Betonstufen, mit krempenloser Melone, nacktem Oberkörper und einem Tischtennisschläger in den schwarzen Shorts.
    Einmal hatte auch ich sie in ihrer Fabrik besucht. Ich hatte den falschen Zeitpunkt erwischt. Ständig war Nina vom Kaffeetisch aufgestanden, um ihrem Assistenten Anweisungen zu geben, der ein Hotel in Tel Aviv buchte, einen Mietwagen mit Klimaanlage und Automatik in Buenos Aires und einen Termin in Sils-Maria. Nach einer Dreiviertelstunde hatte Nina, die nie eine Uhr trug, mich nach der Zeit gefragt. »Was, schon vier Uhr«, hatte sie gleichmütig gesagt, ohne Erschrecken zu heucheln. »Du, tut mir leid, aber ich müsste schon längst am Check-in sein.«
    Irgendwann sah ich Nina überhaupt nicht mehr. Ich sah nur noch die Bilder, die sie aus ihrer Fabrik in die Welt schickte, in die Magazine, auf die Chongqing-Biennale und in die Auktionen von Churchill’s und Fauchon. Und ich sah die Bilder von Nina selbst, wie sie mit Amrei Bogner an einer Zwillingskirsche naschte, bei der Eröffnungsparty der Art Baltica in Klaipeda oder am Arm ihres Gatten Terence Borsche, Autor von »Dein Lied« und »Flirt mit dem Sensenmann«, bei Zack Weisbrods Geburtstagsfeier in der Orgon Box auf Fuerteventura. Ich staunteüber Ninas Gesicht, das sie auf diesen Bildern trug und das von all diesen Einladungen, Ehrungen und Huldigungen unberührt geblieben war; das noch immer so unschuldig und absichtslos war wie in unseren gemeinsamen Hochschultagen und mich ansah, als hätte es mich immer noch lieb.
    In meinen weißen Jeans, meiner draufgängerisch offenen Bluse, deren Kragenspitzen keck über die Revers züngelten, fühlte ich mich in den Deichtorhallen sofort fehl am Platz. Angesichts der Fotos, die an den Wänden aufgezogen waren, kam ich mir overdressed vor.
    Ich fand Nina im dritten Saal. Beinahe hätte ich sie übersehen in ihrer Jeanskutte, die mit Aufnähern von Motorradclubs besetzt war, in ihrer strumpfengen Lederhose mit dem durchgewetzten Boden, unter der tizianroten Lockenwolke, die ihren Kopf krönte. Auch ihre Gestalt, einen Meter dreiundsechzig hoch, war kaum zu sehen hinter den Anzugträgern mit nickenden, ausrasierten Nacken, die sie umringten wie Bodyguards. Doch dann hatte ich ihr Gesicht erkannt, ihr mildes, erstauntes, unverwüstliches Gesicht, und ich hatte kurz den Impuls verspürt, ihr um den Hals zu fallen, sie an eine Theke zu zerren und einem Barkeeper mit dem Wunsch nach frischen Austern auf die Nerven zu fallen, damit wir uns hinterher über sein Gesicht lustig machen konnten.
    Stattdessen blieb ich stehen und starrte auf Ninas Kutte. Ich erinnerte mich an die Artikel auf der Klatschseite von artgeek. com , über die dreißigstündige Easy-Rider-Party in London zu ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag, die halbnackten Biker in der zwei Meter hohen Torte, das hysterische Ständchen derGuillotines, das behaarte, hundertgliedrige Fleischknäuel auf dem runden Emperor-Size-Bett in der Sunset-Suite des Claridge’s . Und ich erinnerte mich an den Biss im Herzen, als ich mich der Tatsache stellte, dass sie offenbar nicht für eine Sekunde daran gedacht hatte, mich einzuladen.
    Lange stand ich da. Ich starrte auf die Kutte; ich sah Nina an voller Fanatismus, Liebe und Hass. Ich brauchte eine Weile, um mich in Bewegung zu setzen und meine Schritte ins Gleichgewicht zu bringen. Gemessen schlenderte ich dann auf Nina Löwitsch zu.
    Ich kam von schräg hinten: Ich wollte sie überraschen. Und ich hatte das Spalier der Anzugträger, die sie umstanden, schon erreicht, als ein Mann im Kamelhaarmantel die Barrikade der Ehrfurcht durchbrach.
    Der Kamelhaarmantel schien jahrhundertealt und drei Nummern zu weit. Ich sah die riesige Sonnenbrille des Mannes, die silberne Tolle in der Stirn, unter der die Haut noch

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