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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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transparenter wirkte, den mächtigen Bart, der wie Drahtwolle glänzte. Ich sah die gelblich verwaschenen Jeans, die unter dem Mantel herausragten, die Kunstlederschuhe mit den wulstigen Nähten, den fingerdicken Rändern um die Sohlen.
    »Nina«, rief ich heiser, doch Nina nickte mir nur kurz zu und fiel dem Kamelmann um den Hals. Sein Lächeln sah zerstreut aus, abwesend und anwesend zugleich. Es war kaum ein Lächeln, mehr ein stimmloses Lachen, ein stummes Krähen. Ich sah seine Zunge; hart ragte sie aus einem Mundloch, das aussah, als hätte der Mann sich die Zähne weggeleckt.
    Ich sah die beiden Plastiktüten, die er jetzt sorgfältig neben sich abstellte, als enthielten sie zerbrechliche Dinge. Ich sahNinas nervös glühendes Lächeln, und ich sah die Küsse, die sie auf die Wangen des Mannes drückte, der dabei mit gnädiger Miene die Brauen über der Sonnenbrille zusammenzog.
    Dann ging sie zum Bierstand und holte dem Mann eine Flasche. Sie zog ein Feuerzeug aus der Hosentasche und hebelte den Kronkorken mit einem Ruck gegen die Wand. Mit schlaffer Geste stieß der Mantelmann mit ihr an, setzte dann die Flasche an den Hals und ließ sie halbleer wieder sinken.
    Ich verbrachte ein paar erregende Sekunden der Verlassenheit. Da preschten schon meine Kollegen heran, legten auf Nina und den Kamelmann an, und so fotografierte auch ich.
    Der Kamelmann starrte jetzt zu Boden. Erst später sollte ich feststellen, dass der Kamelmann niemals und unter keinen Umständen jemandem in die Augen sah. Er nahm jetzt einen Schluck aus der Flasche, und im nächsten Moment lief ein mildes, rötliches Glimmen über sein Gesicht, ein Säuglingslächeln, das jetzt alles Wissende, Weltmüde abgestreift hatte.
    Die Anzugträger waren einen Schritt zurückgetreten. Alle Körper richteten sich jetzt auf Nina aus und den Kamelmann, der mit indianischer Würde zwischen seinen Plastiktüten stand. Meine Nikon fand keine Lücke mehr; vergebens suchte ich Ninas Blick.
    Schließlich gab ich auf. Ich drehte mich um, schlich ohne Ziel durch Saal vier und Saal fünf. Ich hielt mich an die Bilder, die ich zu kennen geglaubt hatte und plötzlich nicht mehr wiedererkannte. Fremd und trocken, mit dick lackierten Oberflächen, an denen der Blick abglitt, hingen sie jetzt an den Wänden.
    Irgendwann stand ich im Freien. Ich hatte mein Wasserglas noch in der Hand. Ich starrte auf die Neuankömmlinge, die pausenlosdurch die Drehtür drängten, hörte ein Martinshorn von den Elbbrücken her. Ich steckte mir eine Zigarette in den Mund, suchte in meiner Handtasche nach meinem Zippo und sah den Kamelmann erst, als er sein Einwegfeuerzeug vor meiner Nase aufflammen ließ.
    Dann blieb er neben mir stehen, als würden wir uns kennen. Er rauchte und starrte zu Boden. Auch ich rauchte, ohne ihn anzusehen; ich konnte mir diesen Mantel neben mir nicht erklären. Und so gründlich hatte ich mich mit der Unbegreiflichkeit dieses Mannes abgefunden, dass ich mich nicht wunderte, als er mich um mein Handy bat.
    Das war das erste Mal, dass ich seine Stimme hörte. Ich wunderte mich, wie jung diese Stimme klang. Es war fast eine Kinderstimme; wie neugeboren, aber zugleich lebenssatt. Wortlos zog ich das Smartphone aus der Handtasche, reichte es dem Mann, ohne ihn anzusehen.
    Erst als er die Nummer getippt hatte und in das Gerät sprach, wandte ich ihm wieder den Blick zu. Er nannte seinen Namen nicht, doch sein Gesprächspartner wusste offenbar auch so, mit wem er sprach. »Cool«, antwortete der Kamelmann, sagte noch ein paarmal »verstehe«, dann »wow«. Einmal seufzte er, wie ein Toter, dem die letzte Luft aus der Lunge weicht. Schließlich beendete er das Gespräch ohne einen Gruß. Kurz sah er mich an, als erwartete er einen Kommentar. Sein Lächeln schien um Verzeihung zu bitten. Dann warf er die halb gerauchte Zigarette weg, drehte sich um und schwankte zurück in die Ausstellungshalle.
    Unschlüssig stand ich noch einen Moment vor der Tür. Ich nippte an dem leeren Wasserglas in meiner Hand. Dann stellteich es auf einen Poller und schloss mein Fahrrad auf. Durch Scham und Nachtwind rauschte ich zurück in die Bernstorffstraße. Es war noch nicht einmal neun Uhr, und ich hatte noch immer Geburtstag.
    Patrick grüßte nicht. Er schlenderte mir über den Flur entgegen, ohne langsamer zu werden; er ging an mir vorbei, um die Tür zu schließen. Er fragte: »Warum gehst du nicht ans Telefon.« Ungläubig scharrte ich in meiner Handtasche; ich fand das Feuerzeug,

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