Ueberflieger
mit einem Bambuskamm von jedem einzelnen Halm die Insekten abgesammelt. Gleichzeitig müssen die Bauern den Wasserstand im Auge behalten und darauf achten, dass das Wasser unter der heißen Sommersonne nicht zu warm wird. Wenn der Reis reif ist, rufen die Bauern ihre gesamte Verwandtschaft zusammen, um den Reis in einer gemeinsamen Anstrengung so schnell wie möglich zu ernten und vor Anbruch der Trockenzeit im Winter eine zweite Ernte einbringen zu können.
In den ländlichen Regionen Südchinas besteht das Frühstück – für diejenigen, die es sich leisten können – aus Congee, einem Reisbrei mit Salat, Fischpaste und Bambussprossen. Zum Mittagessen gibt es wieder Congee. Und zum Abendessen gibt es Reis mit Beilagen. Der Reis dient als Währung, mit der man auf dem Markt andere zum Leben notwendige Dinge kaufen kann. An ihm lassen sich Wohlstand und Status ablesen. Bis heute bestimmt der Reis den gesamten Tagesablauf. »Reis ist Leben«, sagt der Anthropologe Gonçalo |202| Santos, der ein traditionelles südchinesisches Dorf untersucht hat. »Ohne Reis ist kein Überleben möglich. Wer in dieser Gegend etwas sein will, braucht Reis. Der Reis hält die Welt am Laufen.«
2.
Sehen Sie sich die folgende Zahlenreihe an: 4, 8, 5, 3, 9, 7, 6. Lesen Sie sie laut vor. Schließen Sie die Augen, prägen Sie sich die Zahlen 20 Sekunden lang ein und sagen Sie sie dann laut auf.
Für Sprecher des Englischen und Deutschen stehen die Chancen bei 50 Prozent, dass Sie sich die Zahlenfolge merken können. Ein Chinese wird sich diese sieben Zahlen jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit merken können. Der Grund ist, dass wir Zahlen in einer Gedächtnisschleife speichern, die etwa 2 Sekunden lang dauert. Wenn wir etwas innerhalb von 2 Sekunden sagen oder lesen können, dann können wir es uns am leichtesten einprägen. Sprecher des Chinesischen können sich die Zahlenfolge 4, 8, 5, 3, 9, 7, 6 leichter merken, da es ihnen das Chinesische (anders als das Englische oder das Deutsche) problemlos ermöglicht, diese sieben Zahlen in 2 Sekunden unterzubringen.
Das Beispiel stammt aus dem Buch
The Number Sense
von Stanislas Dehaene. Der Autor erklärt weiter:
Chinesische Zahlwörter sind bemerkenswert kurz. Die meisten lassen sich in weniger als einer Viertelsekunde aussprechen (4 ist beispielsweise »si« und 7 »qi«). Die englischen Zahlwörter »four« und »seven« sind länger und erfordern etwa eine Drittelsekunde. Die unterschiedliche Gedächtnisleistung ist allein auf diese Längenunterschiede zurückzuführen. In so verschiedenen Sprachen wie dem Walisischen, dem Arabischen, dem Chinesischen, dem Englischen und dem Hebräischen besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Dauer, die zur Aussprache der jeweiligen Zahlwörter erforderlich ist, und dem Zahlengedächtnis der Sprecher. Auf diesem Gebiet geht der Preis an das kantonesische Chinesisch, dessen Zahlwörter so kurz sind, dass sich die Bewohner von Hongkong Zahlenfolgen mit zehn Ziffern merken können.
|203| Daneben unterscheiden sich indogermanische und asiatische Sprachen jedoch im gesamten Aufbau ihres Zahlensystems. Im Deutschen sagen wir dreizehn, vierzehn, fünfzehn, achtzehn und neunzehn, also müsste man doch eigentlich erwarten, dass es auch einszehn, zweizehn, sechszehn und siebenzehn heißt. Stattdessen verwenden wir die Formen elf, zwölf, sechzehn und siebzehn. Genauso sagen wir vierzig, fünfzig und achtzig, die so klingen wie die Zahlen vier, fünf und acht, mit denen sie verwandt sind. Aber wir sagen zwanzig, sechzig und siebzig, die zwar so ähnlich klingen wie zwei, sechs und sieben, aber eben nicht ganz. Dazu kommt, dass wir die Zahlen zwischen 13 und 99 nicht in der Reihenfolge aussprechen, in der wir sie schreiben: Wir schreiben 14, 15, 18, aber wir sprechen vier-zehn, fünf-zehn, acht-zehn. Im Deutschen ist das Zahlensystem also äußerst unregelmäßig. Anders im Chinesischen, im Koreanischen und im Japanischen, die ein vollkommen logisches Zahlensystem besitzen: 11 ist zehn-eins, 12 ist zehn-zwei, 24 ist zwei-zehner-vier, und so weiter.
Dank dieses Unterschiedes lernen Kinder in Ostasien sehr viel schneller zählen. In China können vierjährige Kinder im Durchschnitt bereits bis 40 zählen, während englisch- und deutschsprachige Kinder in diesem Alter meist nur bis 15 kommen und erst ab dem fünften Lebensjahr bis 40 zählen können. Was ihre Mathematikkenntnisse angeht, sind diese Kinder also im Alter von fünf Jahren
Weitere Kostenlose Bücher