Ueberflieger
ökonomische Notwendigkeit. Eine Verlangsamung des Stoffwechsels verhinderte, dass der Hunger die Vorräte erschöpfte … Die Menschen bummelten und trödelten selbst im Sommer … Nach der Revolution beklagten sich Beamte im Elsass und dem Département Pas-de-Calais, die Winzer und Bauern würden sich in der ruhigen Zeit lieber »der stumpfen Faulheit hingeben«, statt sich »einer friedlichen und sesshaften Tätigkeit im Haus zu widmen«.
Die Reisbauern in Südchina verfielen dagegen nicht in Winterschlaf. In der kurzen Pause der Trockenzeit waren sie mit kleineren Arbeiten beschäftigt. Sie stellten Bambuskörbe oder Hüte her und verkauften sie auf dem Markt, besserten die Dämme ihrer Reisfelder aus und reparierten ihre Lehmhütten. Ihre Kinder schickten sie zur Arbeit zu Verwandten in Nachbardörfern. Außerdem stellten sie Tofu und Bohnenquark her und fingen Schlangen (die als Delikatesse galten) und Insekten. Mit Beginn des Frühjahrs waren sie wieder jeden Morgen zu Sonnenaufgang auf ihren Feldern. Die Arbeit im Reisfeld ist etwa 10 bis 20 Mal so arbeitsintensiv wie die Arbeit auf einem Mais- oder Weizenfeld derselben Größe. Nach manchen Schätzungen arbeiten Reisbauern in Südostasien etwa 3 000 Stunden pro Jahr.
4.
Stellen Sie sich vor, wie das Leben eines Reisbauern im Delta des Perlflusses ausgesehen haben muss. 3 000 Arbeitsstunden pro |209| Jahr sind unerhört viel, vor allem wenn man die meiste Zeit in gebückter Haltung und unter der sengenden Sonne Reispflanzen setzt oder Unkraut jätet.
Was das Leben der Reisbauern jedoch erträglich machte, war der Charakter ihrer Tätigkeit. Ihr Arbeit hatte eine wichtige Eigenschaft mit der Textilarbeit der jüdischen Einwanderer in New York gemeinsam: Sie war sinnvoll. Zum einen besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Einsatz und Belohnung: Je härter man auf dem Reisfeld arbeitet, desto größer sind die Erträge. Zum anderen handelt es sich um eine anspruchsvolle Tätigkeit. Reisbauern pflanzen nicht einfach im Frühjahr und ernten im Herbst. Sie leiten ein eigenes kleines Unternehmen, beschäftigen die gesamte Familie, beugen Ernteausfällen durch eine geschickte Auswahl des Saatguts vor, errichten und managen ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem und koordinieren einen komplexen Ernteablauf, während sie gleichzeitig die zweite Pflanzung vorbereiten.
Vor allem aber ist die Arbeit autonom. In Europa waren viele Bauern kaum etwas anderes als schlecht bezahlte Arbeitssklaven eines adeligen Großgrundbesitzers und hatten kaum Möglichkeiten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Doch in China und Japan war diese Form der ausbeuterischen Feudalherrschaft weitgehend unbekannt, da der Feudalismus in einer Reiswirtschaft kaum funktionieren kann. Der Reisanbau ist viel zu komplex und anspruchsvoll für ein System, das die Bauern jeden Morgen aufs Feld zwingt. Seit dem 14. und 15. Jahrhundert ließen die Großgrundbesitzer in Zentral- und Südchina ihren Pächtern fast vollständig freie Hand: Sie kassierten eine feste Pacht und ließen die Bauern ansonsten gewähren.
»Nassreisanbau erfordert nicht nur einen phänomenalen Arbeitseinsatz, sondern auch äußerste Disziplin«, erklärt der Historiker Kenneth Pomerantz. »Sie müssen sich ständig um den Reis kümmern. Es ist wichtig, dass das Feld vollkommen eben ist, ehe Sie es fluten. Wenn es nur beinahe eben ist, aber nicht ganz, dann |210| kann das einen gewaltigen Unterschied im Ertrag ausmachen. Genauso wichtig ist die richtige Fließgeschwindigkeit des Wassers. Es ist ein Unterschied, ob Sie die Setzlinge ordentlich oder schlampig ausrichten. Es reicht nicht, Mitte März zu sähen und dann darauf zu warten, dass es regnet. Sie kontrollieren sämtliche Faktoren direkt. Wenn eine Tätigkeit einen derartigen Aufwand erfordert, muss der Pächter ein Anreizsystem schaffen, das dem Bauern einen größeren Anteil gibt, wenn die Ernte gut ausfällt. Daher der feste Pachtzins. Der Grundbesitzer bekommt, sagen wir, 20 Scheffel Reis, unabhängig von der Ernte, und wenn die Ernte gut ausfällt, dann steigt der Anteil des Bauern. Reisanbau geht nicht mit Sklaverei und Lohnarbeit zusammen. Es wäre zu leicht, einfach die Bewässerungsschleusen ein bisschen länger zu öffnen, und schon ist das Feld ruiniert.«
In einer Untersuchung verglich der Historiker David Arkush russische und chinesische Sprichwörter und stieß auf ganz erstaunliche Unterschiede. »Wenn Gott nicht gibt, gibt auch die Erde nicht«,
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