Ueberflieger
durchschnittlichen Familienbetrieb im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten gehören. Wenn eine fünf- oder sechsköpfige Familie von einem Stück Land leben muss, das so groß ist wie zwei Hotelzimmer, dann verändert sich die Landwirtschaft dramatisch.
Historisch gesehen ist die westliche Agrikultur »mechanisch« ausgerichtet. Wollte ein Bauer größere Erträge erzielen, dann schaffte er modernere Geräte an, die es ihm erlaubten, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen: einen Traktor, eine Dreschmaschine, eine Heuballenpresse, einen Mähdrescher. Er rodete neue Felder und erweiterte seine Anbaufläche, denn mit den Maschinen konnte er mit demselben Aufwand immer größere Ackerflächen bestellen. Doch in Japan und China hatten die Bauern weder das Geld, sich neue Maschinen anzuschaffen, noch standen zusätzliche Flächen zur Verfügung, die sich in neue Reisfelder hätten verwandeln lassen. Die Bauern konnten ihre Erträge nur dann steigern, wenn sie ihre Zeit effektiver nutzten und bessere Entscheidungen trafen. Daher bezeichnet die Anthropologin Francesca Bray den Reisanbau als »kompetenzorientiert«: Wer bereit ist, ein bisschen gründlicher Unkraut zu jäten, gezielter zu düngen, mehr Zeit auf die richtige Einstellung der Wasserhöhe zu verwenden, sein Feld absolut waagerecht anzulegen und jeden Quadratzentimeter optimal zu nutzen, der erzielt höhere Erträge. Kein Wunder also, dass Reisbauern in der Vergangenheit härter gearbeitet haben als alle anderen Bauern.
Letztere Aussage mag ein wenig merkwürdig klingen, zumal die meisten von uns der Ansicht sind, die Arbeit in vormodernen |207| Gesellschaften sei ausgesprochen hart gewesen. Das stimmt so allerdings nicht ganz. Unsere Vorfahren stammen unter anderem von Jägern und Sammlern ab, und die hatten kein sonderlich aufreibendes Leben. Die !Kung-Buschmänner der Kalahariwüste in Botsuana, die zu den letzten Vertretern dieser Lebensform gehören, leben von einer Vielfalt wild wachsender Früchte, Beeren und Wurzeln. Hauptbestandteil ihrer Ernährung ist die proteinhaltige Mongongo-Nuss, die in der Region in Hülle und Fülle vorkommt. Die !Kung betreiben keinen Ackerbau und gehen keinen zeitraubendenTätigkeitenwieAussaat, Ungezieferbekämpfung, Ernteund Lagerung nach. Auch Tiere halten sie keine. Gelegentlich gehen die Kung-Männer auf die Jagd, wenn auch eher zum Zeitvertreib. Im Ganzen arbeiten die Buschmänner und -frauen zwischen 12 und 19 Stunden pro Woche und verbringen ihre Zeit in der Hauptsache mit Tanzen, geselligem Zusammensein und Besuchen bei Freunden und Familie. Insgesamt arbeiten sie weniger als 1 000 Stunden pro Jahr. (Als einer der Buschmänner gefragt wurde, warum sein Volk keinen Ackerbau betreibe, blickte er den Fragesteller verdutzt an und erwiderte: »Warum sollen wir etwas anpflanzen, wenn es so viele Mongongo-Nüsse auf der Welt gibt?«)
Oder nehmen wir das Leben der Bauern im Europa des 18. Jahrhunderts. An rund 200 Tagen im Jahr arbeiteten die Männer und Frauen von Sonnenaufgang bis zum Mittag und kamen damit auf eine Jahresarbeitszeit von rund 1 200 Stunden. Während der Aussaat im Frühjahr und der Ernte im Herbst waren die Arbeitstage länger, im Sommer und Winter waren sie dagegen sehr viel kürzer. Der Historiker Graham Robb schreibt in seinem Buch
The Discovery
of France
, das Leben eines französischen Bauern habe bis ins 19. Jahrhundert aus kurzen Phasen der Arbeit und langen Phasen des Nichtstuns bestanden.
»99 Prozent der landwirtschaftlichen Tätigkeiten, die hier und in anderen Darstellungen beschrieben werden, entfielen auf das Ende des Frühjahrs und den Beginn des Herbstes«, schreibt Robb. In den Pyrenäen und den Alpen fielen ganze Dörfer mit dem ersten |208| Schneefall Anfang November in Winterschlaf und erwachten erst im März oder April wieder. Doch auch in den gemäßigteren Regionen Frankreichs, wo die Temperatur kaum unter den Gefrierpunkt fiel, war es kaum anders. Robb fährt fort:
Die Felder Flanderns waren den größten Teil des Jahres verlassen. Im Jahr 1844 beschrieb ein offizieller Bericht über die Region Nièvre die seltsame Verwandlung der burgundischen Tagelöhner nach dem Ende der Ernte und der Weinlese: »Nachdem die nötigen Reparaturen an den Werkzeugen erledigt sind, verbringen diese kräftigen Männer ihre Zeit im Bett, halten sich warm und essen weniger. Sie schwächen sich ganz bewusst.«
Diese Form des menschlichen Winterschlafs war eine körperliche und
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