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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Fluchen erleichtert. Sie musste warten. Gewissenhaft verrichtete Reinhold seine Arbeit, gab den Ruderknechten auf der Ponte genau Anweisungen. Endlich rollte der Planwagen langsam zur Fähre hinunter. Geschrei. Befehle, die Ochsen waren geduldig.
    Reinhold verließ seinen Platz und stapfte über die großen Kiesel. »Brauchst nicht mehr zu warten, Mädchen.«
    Wendel glitt aus, stolperte dem Fährmann entgegen. Nicht mehr warten? Beide sind tot. »Sag doch, Reinhold.«
    Er rieb den Handrücken an seiner Nase. »Ruhig, Mädchen. Hab was gehört. Brauchst heute nicht länger warten.«
    Erleichtert stieß Wendel den Atem aus, begann sofort mit der neuen Furcht. »Welche Nachricht?«
    »Einer von den Wannenkrämern drüben auf der anderen Seite, er war letzte Woche noch in Köln.«
    Wendel drängte nicht mehr, die Erregung hatte gegen die Ruhe des Fährmanns verloren.
    »Also, der sagt, dass sie in Köln einen Ketzer Vorhaben. Schon lange. Überall in den Schenken erzählen die Leute von dem großen Prozess.«
    Ein Prozess. Ein langer Prozess! Nichts ist geschehen. Wendel lachte auf, und ehe Reinhold begriff, hatte sie ihn umarmt und das faltige Gesicht geküsst. Nur die Augen blitzten, verrieten die Überraschung. »Frau!«, er stockte, vorsichtig strich er seine Wange. »Mädchen, ist das denn gut, ein Prozess?«
    Mit den Fingern zählte ihm Wendel den April, den Mai, den Juni. »Jetzt haben wir schon Juli, Reinhold. Wenn der Prozess sich hinzieht, steht es nicht schlecht.« Das hatte ihr Adolph immer wieder zum Trost gesagt, darauf hatte sie in den vergangenen Monaten ihre Hoffnung gebaut.
    »Glaubst du’s, Mädchen?«
    »Ganz gewiss.«
    »So was. Kein Gericht ist gut.«
    »Solange sie noch reden?«
    Reinhold wollte erklären, unterließ es. »Ich wünsch es dir, Mädchen.« Mit beiden Händen glättete er das spärliche Haar. »Ich frag weiter, Wendel. Jetzt muss ich zu den verdammten Ochsen.« Er hatte sich abgewandt und stapfte zurück. »Diese verdammten Holländer. Als wären sie die Kaufherren der Welt. Ich sag, einer nach dem anderen. Es geht nicht schneller, und wenn es bis zum Abend dauert.«
    Neben dem Kiesweg kletterte Wendel die Böschung hinauf, schlüpfte in die Schuhe und beeilte sich.
    Die Erleichterung beflügelte sie. »Ich hol mir die drei, und dann geht’s einmal durch die Wiesen!«
    Auf dem Handwagen hatte sie am Morgen die Mädchen zu Greet gezogen, sie für den Tag abgeliefert. Für die Großen war das Kutschieren jedes Mal eine Lust. Gut verpackt lag Irmel in der weichen Sacktasche zwischen ihnen, und die Schwestern spielten »Hü« und »Hott«. Die Mutter war das folgsame Pferd.
    Wendel überlegte, ob Lisabeth alt genug sei, um ein Gebet zu lernen? »Nein, beten kann sie noch das ganze Leben.« Ein Lied, ich werde ihr so lange eins Vorsingen, bis sie mitsingt!
    *

R atten überleben nicht, die nicht! Johann kniete auf dem Kerkerboden, presste die Hände hinter dem Rücken zusammen, als wären sie gebunden. Seine Augen stierten, fraßen die Dunkelheit, er war vorbereitet, »Die Welt nicht!«, nur er, und endlich vernahm Johann den Posaunenstoß. »Das ist der erste Engel!«
    Seine Stimme krächzte, und doch glaubte er zu schreien, laut wie Donnerhall. Hagel und Feuer mit Blut vermengt fielen herab und verbrannten Bäume und Gras. »Auch die Ratten sind verkohlt, natürlich, die auch.« Auflachend riss er die Hände voneinander, sprengte die Ketten, stürzte sich hoch, es kostete so viel Kraft, torkelte hin und her, bis er das Gleichgewicht gewonnen hatte, dann stand er aufrecht, schwankte nicht mehr. Weit breitete er die Arme, fühlte den starken Geist, schleuderte ihn über die Gemeinde. »Das siebte Siegel ist aufgetan, bereitstehen die sieben Engel mit den Posaunen. Wehe euch Menschen der Erde, bis jetzt stieß nur der erste Ton auf euch nieder!«
    Sein Atem hechelte. Nicht länger soll der große Drache, die alte Schlange wüten! »Gegen Teufel und Satanas!« Johann tastete zur Mauer seines Kerkers, suchte, griff nach oben, würgte einen vorspringenden Stein, mit einem Mal schrie er, stampfte die Füße auf den Boden, trat den Kopf der Schlange. »In den Abgrund mit dir!« Er kettete Satan, stieß ihn hinab, hastig raffte er Stroh zusammen und versiegelte den Schlund. »Tausend Jahre sollst du gefangen sein.« Vom Sieg beflügelt tapste Johann in die Mitte des Kerkers, seine Stimme plapperte: »Nur eine kleine Zeit warst du wieder los. Jetzt aber regieren alle, die um Gottes Wort

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