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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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entwichen.
    Wie ein Feldherr vor der Schlacht, so herrisch hatte Reinhold die Handelskönige zu sich befohlen. »Kein Gedränge. Einer nach dem anderen, und wenn es bis zum Abend dauert!«
    Nur einer der vierspännigen Planwagen und die Zugtiere hatten gleichzeitig auf der Fähre Platz. Vor der Abfahrt mussten die vier Ochsen ausgeschirrt werden, und Reinhold drohte den Fuhrknechten, bei der kleinsten Unruhe jeden Mann samt dem Viehzeug ins Wasser zu werfen. Die Fremden hatten schnell begriffen, hier war nur Reinhold ein König, und fügten sich.
    Ohne Pause schlug die Fähre ihren Bogen von Büderich nach Wesel, wieder zurück. Harte Arbeit, und das an solch einem müden Julitag, Reinhold schrie seinen Unmut, befahl und schrie.
    Wendel wollte nicht über den Fluss, heute nicht, schon lange nicht mehr. Bei jeder Wiederkehr der Fähre hoffte sie auf eine Nachricht. Vergeblich, Reinhold sah sie nicht an, und Wendel wartete weiter. Vielleicht dieses Mal.
    Noch drei Planwagen standen auf dem letzten Stück der Handelsstraße. Fuhrknechte schlenderten den Kiesweg hinunter, schöpften Wasser und schleppten die schweren Eimer unter Flüchen zu den Ochsen. Oben auf der Böschung palaverten die Kaufherren.
    Bis zum Abend werde ich bleiben. Reinhold hilft mir, fragt für mich. Am Tag konnte Wendel ihren Gedanken befehlen. Adolph und Johann sind außer Gefahr. Still! Die Freunde und Brüder in Köln lassen die beiden nicht ziehen. Mein Johann predigt so flammend, sie wollen ihn festhalten, ihn nicht hergeben. Bitte, widersprich nicht! Ja. wenn er vor der Gemeinde steht, wächst mein Johann über sich selbst hinaus. Er fesselt die Zuhörer. Und Adolph? Wendel seufzte. Ihm müssen sie sich zu Füßen setzen, er hat Geduld, kann erklären. Kein Schulmeister, viel mehr: ein Lehrer. Still! Meine beiden stärken den Glauben der Brüder in Köln, dann erst kehren sie zurück.
    Tagsüber war es leichter, Herrin der Unruhe zu werden. Doch in der Nacht regierten die Gedanken. Wendel führte mit Adolph gemeinsam den Kampf, um Johann vor der Inquisition zu retten. Dieser Henker! Immer wieder sah sie das gleiche Bild. Johann stand mit entblößtem Rücken, und die Riemen der Peitsche zerschnitten das Fleisch. Sein stummes Schreien, das schmerzgequälte Gesicht schreckten Wendel Nacht für Nacht aus dem Traum. Oft weinten Lisabeth und Magdalene, selbst die kleine Irmel schrie, und Wendel wusste, dass sie im Schlaf laut gekämpft und gelitten hatte. Was ist schon eine Geburt, Johann, gegen solche Demütigung, solche Wunden, die du in meinen Ängsten erleiden musst?
    Irmel. Es hatte lange gedauert, bis das Kind endlich bereit war, in dieses Leben zu kommen. Tage und Nächte, angefüllt mit Schmerz wellen. Unermüdlich hatte Greet bei der Freundin gewacht, den Schweiß getrocknet, schließlich hatten sie gemeinsam diesen großen Kopf herausgepresst. »Wieder ein Weib!« Greet war mit dem Neugeborenen ans Fenster geeilt. »Ein kräftiges Weib, Kindchen.« Und beide hatten sie gelacht.
    Solche Schmerzen übersteh ich gut. Ich hab geglaubt, dass es Mai würde. Aber Irmgard ist noch ein Aprilkind geworden. Ach, Johann, du kennst sie noch gar nicht. Ich konnte dir deinen Wunsch nicht erfüllen, du hast jetzt drei Töchter.
    Oben riefen die Fuhrleute, zeigten zum Weseler Ufer. Wendel sah, wie die Ponte ablegte. »Dass mir keiner pfeift«, flüsterte sie. Wenn alles gut ist, werde ich mit meinen Mädchen einen ganzen Tag lang auf der Fähre bleiben. Den mürrischen Reinhold überrede ich leicht. Die Kleinen sollen das Wasser riechen und mein Gefühl lernen, wenn die Strömung uns mitnimmt und uns doch nichts geschieht. Wenn nur alles gut wird!
    Sobald die Knechte sich in das letzte Stück des Bogens stemmten, ging Wendel langsam zur Anlegestelle. Knirschend schob sich die Fähre auf den Kies. Reinhold schritt über die Rampe, schlang das Tau um den Pfahl.
    An seinem Gesicht konnte Wendel nichts ablesen. Diese Holländer umringten den Fährmann, sprachen auf ihn ein, redeten mit den Händen. Mürrisch fuhr Reinhold dazwischen, dirigierte mit lauter Stimme. Kurz blickte er zu Wendel hinüber und nickte.
    Sie sah es, glaubte ihren Augen und verschluckte den Atem. Was hat er gemeint? Weiß er etwas? Oder hat er nur gegrüßt? Seit heute Morgen hat er mich nicht mehr beachtet. Es war kein Gruß! Dieses sture Gesicht raubt mir noch den Verstand.
    Viel zu lange dauerte ihr das Hin und Her der Fuhrleute. »Schwimmt doch rüber mit euren dämlichen Ochsen!«

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