Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
um sich ein neues Stück zu schneiden.
    Bis wir nach oben gehen, werde ich dich hier festhalten. Seit dem ersten Tag versuchte Wendel, ihre Mädchen vor Konrad zu schützen. Manchmal war sie des Nachts aufgewacht und wusste, dass dieser Kerl in der Tür stand, hörte seinen kurzen Atem. Sie durfte nicht schreien, ihn einfach davonjagen. »Friede sei mit dir, lieber Konrad«, und wartete angewidert, bis die Tür endlich leise in den Angeln schwang.
    Vergeblich hatte sie Johann angefleht. »Er schleicht um unsere Mädchen herum!«
    »Er will mit den Kindern spielen.«
    »Doch nicht in der Nacht!«
    »Konrad ist der Bruder des zweiten Propheten.«
    Nicht auflehnen, nicht den Unmut der Mächtigen heraufbeschwören, so lebte Johann. »Ich bin Prädikant!« Stolz bejahte er die Ordnung und half, sie zu festigen.
    Der Himmel war offen, und Osterlicht überstrahlte die Heilige Stadt. Vorn auf der vorgewölbten Wallschanze des Ludgeritores hatten sich die Würdigsten versammelt, die Gesichter weit und wach, niemand war schwer von dem Gelage aufgestanden. »Denn Nacht wird nicht mehr sein in der Stadt«, weissagte die Schrift. Flirrendes Fieber trieb die Herzen, gestattete dem erschöpften Körper kaum mehr als drei Stunden Schlaf, peitschte die Auserwählten und hetzte sie näher an den Ring der Herrlichkeit Gottes. Wir werden verglühen, doch Wendel wagte nicht zu warnen.
    »Der Tag der sechsten Posaune ist angebrochen! Mir hat die Stimme befohlen, hinauszugehen und die Schrift zu erfüllen.«
    »Hosianna!«, schrie der Glaube.
    »Mir ist die Kraft von Millionen Reitern und Rossen gegeben. Allein mit den Wächtern ziehe ich in den Kampf. Mit Feuer, Schwefel und Rauch wird meine Hellebarde die Gottlosen brennen, ätzen und ersticken!«
    »Hosianna! Hosianna!«
    Kopf an Kopf wogte das Volk zu beiden Seiten des Tores auf den Wehrgängen, die Finger flatterten zum Himmel, voll Inbrunst erwarteten die Kinder Israels den Auszug ihres Propheten.
    Auf der vorgebauten Plattform schlugen die Würdigsten die Faustknöchel gegeneinander.
    Drei Augen! Vor ihr. aufrecht neben der Kanone, hatte Wendel den Hauptmann entdeckt. Kein Gedanke, nur ein heftiger Herzschlag! Sie überlegte nicht, musste sich von Divaras Arm befreien, die seit dem Abschied des erleuchteten Gemahls an ihr klammerte. Wendel verließ den Kreis der Frauen und berührte Johanns Arm. »Mein Gebieter, das ist der Mann!« Ihre lauten Worte durchbrachen die Spannung, ließen die Umstehenden aufmerken. Erschreckt tastete der Hauptmann nach dem behaarten Mal, wollte sich abwenden.
    »Bleib, Bruder!« Ihr Finger zeigte auf seine Brust. Immer noch Angst? Verwundert sah sie, wie der Mann zitterte. Der Gedanke lebte, wucherte! Du bist der einzige in dieser Stadt, der sich vor mir fürchtet. Nur weil du der Frau eines Prädikanten an die Brust gefasst, sie in dein Bett eingeladen hast? Du erbärmlicher Dummkopf weißt nicht, was die Heiligen ihren Frauen antun. Sie hielt ihn aufgespießt. Ein Hauptmann, der die Torwächter befehligt, der den Riegel zu meiner Welt bewacht! Mitten in den trostlosen Trümmern pulste Hoffnung. Wer mächtig sein will, muss einen Kerker bauen und den zweiten um das Herz, so habe ich es von euch gelernt. Deine Angst werde ich schüren, ständig soll dich die Furcht bedrohen, dass nur ein Wort von mir deinen Kopf abschlägt. »Mein Gebieter!«, wiederholte sie mit scharfer Stimme, dehnte die Pause, sie genoss die flackernden Augen, mit dem Trommler hattest du kein Erbarmen, dann strahlte sie. »Dieser Mann hat uns sicher in die Stadt geführt!«
    »Gut, gut«, flüchtig streifte Johann das Gesicht des Hauptmanns, »ich werde dich nicht vergessen, Bruder.«
    Die Heiligen nickten wohlwollend, wandten den Blick wieder hinüber zu den bunten Zelten am Rand des Todesfeldes. Unbewegt starrte Wendel das schwarze Wangenauge an, erst als der Hauptmann dankbar den Kopf senkte, ließ sie ihn los und kehrte zurück, reichte Divara ihren Arm.
    Fanfaren zerschmetterten die Osterstille. Schon knirschten die Ketten der Zugbrücke. Voran schritt der Prophet, auf seinem Rücken spiegelte sich die Sonne im Harnisch, erglühte die Hellebarde, züngelte wie zwanzig Flammen an den Stoßklingen der Wächter.
    »Hosianna! Hosianna!« Auf und ab flatterten die Finger der Auserwählten.
    Vor den Zelten der Belagerer trommelte der Alarm.
    »Hosianna!«
    Befehle formierten die Landsknechte.
    »Hosianna!«
    Unbeirrt schritt der Prophet, führte die Getreuen, sein Fuß trat den Boden,

Weitere Kostenlose Bücher