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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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du noch Vikar in Büderich, als deine Pfaffenhure wollte ich mit dir für das reine Wort kämpfen, wie wir es von Adolph gelernt haben. Ihr durftet in Münster evangelisch predigen, die Leute erzählten es hinter der vorgehaltenen Hand. Du hattest den Kampf gewonnen! Für dieses Ziel lagst du im Kerker, starb dein Freund. Doch du und diese Heiligen, ihr habt den Sieg verschmäht, wollt neben dem Herrn sitzen und herrschen. In deinem Fieber erfriert unser Glück, mein Mut ist krank geworden. Im Neuen Jerusalem wird es nicht mehr Tag, nicht mehr Nacht.
    »Trinkt!«, schrie Knipperdolling, er stand am Feuer und stach sein Messer in das Schwein. »Das Fleisch ist zart«, und übergoss die Kruste mit Bier, dass es zischte. »Geduldet euch noch eine Weile, und die Schwarte kracht zwischen den Zähnen!«
    Wimmern! Der Prophet schleuderte Krüge, Schinken und Brotreste vom Tisch, stieß Divara und Bockelson von seiner Seite, wimmerte mit geschlossenen Augen und zerwühlte Haare und Bart. »Was befiehlst du mir, großer Gott?«
    Sofort schwiegen seine Jünger, wiegten sich vor und zurück, die Mägde stockten, unterbrachen das stetige Kreisen, schaukelten die Bierkannen.
    In tiefer Qual röchelte der Prophet, schlug die Stirn heftig auf die Tischplatte, wieder und wieder. Der Takt zwang die Köpfe der Heiligen, erst nickten sie, dann fuhren sie auf und ab.
    Wendel schloss sich nicht aus, durfte sich nicht verraten, sah entsetzt, wie Johanns Lippen geöffnet waren, seine Augen sich weiteten. Wohin flieht ihr? Nur ich sitze in dieser Halle.
    Ein seufzender Schrei drang aus der Brust des Propheten. »O lieber Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst.«
    Plötzlich gab ihn die Dunkelheit zurück, er öffnete die Augen, das Weiße leuchtete um die brennenden Punkte. Der Stuhl stürzte. Vom Geist durchdrungen umarmte er seinen Stellvertreter und küsste den Mund, küsste den Tischnachbarn, schritt von einem zum anderen, Wendel spürte die kalten Lippen, jedem Mund drückte er das Siegel auf. »Seid getrost! Versammelt die Gemeinde morgen früh auf Mauer und Wall bei dem Ludgeritor. Erwartet mich um die zehnte Stunde.«
    Er winkte Divara zu sich. Ohne Zögern folgte sie dem Befehl, senkte den Kopf und schlang ihren Schleier enger. »Gottes Friede sei mit euch allen.« Hocherhoben schritt er zur Tür, führte Divara wie eine Königin aus der Halle.
    »Hosianna«, ehrfürchtig, »Gott ist groß, Jan Matthys sein Prophet«, pflichtschuldig, »Hosianna!«, lauter, doch kein Jubel entbrannte.
    »Greift zu, Brüder und Schwestern!«
    Der Bann wich der Lust, gierig schnitten sie große Lappen von dem gebratenen Schwein.
    »Es gibt genug für jeden!«
    »Ich bin nicht hungrig«, entschuldigte sich Wendel.
    »Willst den Bauch leer haben für deinen Bräutigam!« Aus vollem Hals lachte der Bürgermeister und biss krachend in das erste Stück.
    Um die erlauchten Gäste zu beherbergen, hatte Knipperdolling die Rückwand seines Hauses durchbrochen und mit den Gebäuden der Domherren verbunden, um die Würdigsten gebührend zu beköstigen, hatte er den Reichtum der Klöster- und Kapitelkeller in seine Vorratskammer schaffen lassen. Im Palast der Heiligen wurde geprasst.
    In den Gemeinschaftshäusern draußen an den Toren wurden den einfachen Auserwählten täglich Heringe aufgetischt. Seit Wochen gab es Hering aus den Klosterkellern und Psalmen, die Knaben zu jeder Mahlzeit vortrugen. Aus dem Fisch sollte die Kraft wachsen, um die Befestigung der Stadt Zion Tag für Tag weiter zu verstärken. Die Tonnen schienen nie leer zu werden, und allein der Geruch eines Herings ekelte das Volk.
    »Nur noch wenige Tage! Wenn die Gottlosen vernichtet sind, gehören uns die herrlichsten Früchte der Erde!« Bis heute hatten die Gläubigen gehorsam den salzigen Fisch hinuntergewürgt, nach dieser Nacht brach der Ostersonntag an.
    Ein heißes Gesicht schob sich an Wendels Ohr. »Schlafen deine Töchter schon?«
    Beim Klang der Stimme schreckte sie herum. Konrad! Um das Grinsen plackten rote Flecken, er ließ die Finger von ihrer Schulter den weißen Ärmel hinunterkriechen. Du bist voller Gift, dachte Wendel angewidert. »Lieber Konrad, setz dich. Trink!«, nur Heuchelei lässt mich atmen, sie schob ihren Krug hin. »Iss von dem köstlichen Schwein«, damit riss sie Johann das Bratenstück aus der Hand und drückte es Konrad an die Lippen, lachte, bis er den Mund öffnete und hineinbiss.
    »Lass es dir munden, mein Bruder.« Wohlwollend stand Johann auf,
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