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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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zerlief.
    »Brüder und Schwestern!« Mit dem Schinkenstück in seiner Faust zeigte Jan Bockelson zu Wendel hinüber. »Wenn ein schönes Weib das weiße Gewand trägt, so blendet mich himmlischer Glanz. Lasst uns mit dem Bruder Johannes im Namen des Schöpfers fröhlich sein.« Genüsslich biss er in den Schinken, verlangte, weiter gehört zu werden. »Ihr esset nun oder trinket, oder was ihr auch tut, so tut es alles zu Gottes Ehre!«, schmatzte und lockte zum Wettstreit: »Aus dem Brief an die Korinther.«
    Gleich reckte sich Bernhard Rothmann, zwischen halbgekautem Speck und Brot zwängte er aus dem Mund: »Freuet euch in dem Herrn aller Wege! Und abermals sage ich: Freuet euch!«, setzte den Krug an die Lippen, schaffte der Stimme Platz. »Brief an die Philipper, viertes Kapitel, vierter Vers.«
    Knipperdolling hämmerte seinen geleerten Humpen auf den Tisch. »Nehmet und esset, trinket zu meinem Gedächtnis!«, rieb sich die Stirn, wusste nicht, wo die Stelle in der Schrift stand und polterte Gelächter, stieß seinen Nachbarinnen in die Seite, verlangte Fröhlichkeit, schrie nach Bier.
    Nur Wendel erschrak.
    Die Augen der Heiligen richteten sich zum Kopf der Tafel. Schweigend stopfte der Prophet Matthys die Bissen in den Mund, beteiligte sich nicht an dem gelehrten Spiel, kaute stumm die bleichen Wangen leer, blähte sie wieder mit Speckstücken.
    Seit Tagen grübelte der Prophet. Das geweissagte Heer war ausgeblieben. Vor den Toren wuchs die Kriegsmacht der Feinde. Gottes Gericht hatte die Welt nicht von den Verdammten befreit! In der Stadt wartete das Volk gläubig auf seine Verheißung, hier im Haus der Heiligen, im Herzen, das den Pulsschlag des Neuen Jerusalem bestimmte, stahl sich Zweifel in den Blick der Würdigsten. Ein Prophet darf nicht irren! Noch wagte niemand laut zu fragen, noch schrieb man den 4. April, erst in wenigen Stunden brach der Ostermorgen an. Mit wilder Lust stürzten sie sich über die letzten Reste der Vorspeise, ertränkten die Frist im Bier.
    Neben dem verstummten Matthys prangte Divara, füllte die Stirnseite der Tafel mit ihrem Lachen. Zu Ehren der Hochzeit trug sie leichte Seide, locker hatte sie das rosafarbene Tuch wie ein Gewand um den übervollen Leib geschlungen. Wenn sie trank, gurrte sie, scherzte dann mit dem zweiten Propheten, der rechts von ihr auf dem ersten Platz an der langen Tafelreihe saß, bevor sie das nächste Speckstück in den Mund schob. Ihr Bauch wölbte sich über die Tischkante, Divara wischte die fettigen Finger an ihren Brüsten.
    Sie bejaht und genießt. Beide Hände hatte Wendel um den Krug geschlossen, längst war der Schaum vertrocknet. Divara kennt keine Furcht, gibt ihre Lust dem Neuen Jerusalem. Nur das Tuch behindert sie. Wie gern wäre sie nackt, um den Heiligen gleich auf der Tafel ihren Leib zu zeigen, der den Sohn des Propheten trägt. Und Konrad, dieser weichliche Bruder des Stellvertreters, saugt an ihr mit den Augen.
    Neben Wendel stieß Johann den Stuhl zurück, grub die Finger hart in ihre Schulter. Warum willst du mir jetzt noch weh tun? Ich habe den Satz gelernt, fürchte dich nicht. Wendel nickte.
    In der einen schwenkte Johann den Krug, die andere verlangte nach Ruhe, und seine volle Stimme pries das Glück über die Tafel. »Korinther dreizehn, Vers dreizehn: Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.« Er beugte sich über seine Braut, umarmte sie, hatte den Krug nicht abgesetzt, küsste sie unter den genießerischen Blicken der Gesellschaft.
    Fest schloss Wendel die Augen. In der Halle atmete die Begeisterung ein, schwieg, nur das Kauen und Trinken ging weiter. Weißt du noch, was unsere Liebe bedeutet. Johann? Weißt du, wer ich bin?
    Endlich beendete er den Kuss, sah Wendel fordernd an.
    »Mein Gebieter, ich will dir dienen, solange ich lebe.«
    Den Beifall rieben die Würdigsten mit ihren Krügen auf die verschmierte Holzplatte. Stolz forderte Johann seine Brüder und Schwestern auf, mit ihm zu trinken.
    Von euch habe ich das Sprechen gelernt, dachte Wendel. Wie ihr sage ich nur noch gelernte Sätze, lüge laut und gefalle euch. Meinen Glauben verstecke ich, hüte ihn hinter den Lippen.
    »Mehret euch!« Flüchtig, ohne aufzusehen, hatte der Prophet Matthys ihre Hände zusammengelegt.
    All die Jahre habe ich mich danach gesehnt, ihn zu heiraten, vor Gott und dem Gesetz seine rechtmäßige Frau zu werden. Als Fremder, als Gebieter zwingst du mich zu dir. Ach, Johann, wärst
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