Überm Rauschen: Roman (German Edition)
Flüchtlinge, mit denen man damals bei uns nichts zu tun haben wollte. Ihr Vater arbeitete als Melker auf einem Siedlungshof, später wie fast alle hier in der Gegend im Zementwerk. Sonntags nach der Messe kam er in die Gaststätte. War er betrunken, redete er von ihrer Vertreibung aus Ostpreußen, vom eigenen Gutshof, davon, wie die Russen seine Frau in der Scheune vergewaltigt hatten. Er weinte, an der Theke sitzend, sagte, dass die Russen ihn umgebracht hätten, wenn er aus seinem Versteck gekommen wäre. Er war fleißig und sparsam, hatte bald ein Haus gebaut, in dem Almas Bruder jetzt mit seiner Familie wohnt.
Wann immer ich damals Alma in unserem Haus begegnete, sah sie mich verführerisch an. Ich half ihr beim Bettenmachen, sah ihr heimlich zu, wenn sie sich in ihrem Zimmer auszog.
«Ich weiß, was du willst, Leo, wenn du’s aus der Nähe sehen willst, musst du nur zu mir kommen, dann zeig ich dir alles», hauchte sie leise mit französischem Akzent, obwohl sie gar kein Französisch konnte. Bald saß ich auf ihrem Bett, sah ihre Brüste, ihre weißen, dünnen Beine, ihre enge Muschel. Sie zog mir die Hose aus, das Hemd und die Strümpfe und legte sich zu mir. Ich kroch in sie hinein, ganz hinein, bis ich dachte, nicht mehr auf dieser Welt zu sein. Manchmal ging ich nur mit Hermann zum Fischen, um ihn dann mit einer Ausrede zu verlassen und mich heimlich mit Alma zu treffen.
Ich gehe ins tiefere Wasser, bis ich zum Bauch in der Strömung stehe und der Fisch meinen Schatten nicht mehr sehen kann. Durch die Sonneneinstrahlung glitzert das Wasser irisierend, alle Wahrnehmungen scheinen sich in diesem Licht aufzulösen. Ich habe Hermanns Polarisationsbrille aufgesetzt. Der Fisch wartet so lange, bis der Köder in seiner Höhe ist, beäugt ihn gründlich, nimmt ihn entweder direkt, oder er steigt leicht an und schert aus. Nach einigen erfolglosen Würfen gehe ich ein Stück flussaufwärts, um mich dem Fisch von hinten zu nähern, den toten Winkel zu nutzen. Da Fische stets mit dem Kopf zur Strömung stehen, kann ich mich nah an sie heranpirschen. Nun stehe ich in der Mitte des Flusses und befische das gegenüberliegende Ufer. Um den Zielpunkt mit der Fliege zu erreichen, muss ich den Fisch zwangsläufig mit dem Vorfach überwerfen – wenn ich Pech habe, gerät die Fliegenschnur in seinen Sichtbereich und erregt seinen Argwohn. Auch andere, in der Nähe stehende Fische können vergrämt und von einem Biss abgehalten werden. Ich weiß nicht genau, wo die Forelle sich aufhält, sie springt nicht und ist so früh nicht zu sehen.
Ich denke an viele Dinge, die Vater uns beizubringen versuchte, die ich längst glaubte vergessen zu haben. Aber wir vergessen nicht wirklich. Vater erklärte uns, wir müssten das Wasser und die Strömungen im Detail kennen, dürften nie übereilt reagieren. «Ihr müsst abwarten, euch mit den Bewegungen der Fische vertraut machen, umso genauer könnt ihr den richtigen Köder zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort präsentieren.» Ich erinnere mich, wie er nur Hermann dabei ansah und mich gar nicht beachtete. Während des Tages ziehen Forellen tiefe Stellen vor, sie patrouillieren auf bestimmten Routen, sind auf Futter angewiesen, rastlos unterwegs und suchen diejenige Strömung, die Beute auf sie zutreibt. «Wenn ihr sie fangen wollt, müsst ihr eure Ungeduld zügeln, das ist wie in der Liebe», sagte Vater einmal, «ihr müsst zu gleichen Teilen geben und nehmen.»
Die Hoflandsfliege imitiert fast alle braunen Fliegenarten, Kiefernspinner, Fleischfliegen, Schwebwespen und Florfliegen, die sich zum Überwintern braun färben. Sie hat einen aus dunkler, rotbrauner Seide gebundenen filigranen Körper, ihre Hecheln bestehen aus Fasanenfedern oder aus den Kragenfedern eines Hahns.
15
Der Zehnuhrzug war gestern mit Verspätung aus Trier gekommen. Reese sagte, dass die Züge immer unpünktlicher geworden seien, früher habe man nach ihnen die Uhr stellen können. Als der Zug aus dem Tunnel kam und an der Gaststätte vorbeifuhr, zitterten die dünnen Sektgläser in der Glasvitrine hinter der Theke, Reese stellte fest, dass sich der Zug genau um zehn Minuten verspätet habe. Früher hatte Mutter, wenn Alma morgens die Gaststätte putzte, immer zu ihr gesagt, sie solle die Gläser einen Fingerbreit auseinanderstellen und Papierservietten unterlegen. Alma war sehr gelehrig gewesen, hatte alles genau so gemacht, wie Mutter es wollte.
Alma ging in die Gaststätte, um zu
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