Überm Rauschen: Roman (German Edition)
Zehner in der Gaststätte. Ich zapfte gerade Bier, als Märktler hereinkamen und Zehner ihnen zurief, dass der Bauer nur noch ein Knecht sei, der mit seinem großen Traktor immerzu im Kreis fahre, bis er dann verrecke, der Tod dauere das ganze Leben und ende, wenn er eintrete.
«Es gibt keine Arbeit mehr, keine Arbeit für nichts», schrie er.
Alma servierte Kaffee. Eine Frau mit vollgepackten Einkaufstaschen saß in einer Ecke an einem Tisch, ein dicker Mann mit einem gezwirbelten Schnurrbart und langen Koteletten bestellte einen Schoppen Wein, rauchte seine Zigarette mit einer Spitze, erwiderte, zu Zehner gewandt, dass jeder, der Arbeit haben wolle, sie auch bekomme, dass sie in anderen Ländern faul seien, er selbst sei nie in Afrika gewesen, aber es müsse doch einen Grund haben, dass die dort hungerten, wir hier aber nicht, denn weil wir fleißig seien, gehe es uns auch gut. Dann redeten alle durcheinander, und niemand hörte dem anderen mehr zu.
«Es werden hier ja immer weniger Marktstände, bald lohnt es sich überhaupt nicht mehr herzukommen», sagte einer.
Zehner sprach jetzt über die Kriegsjahre, erzählte von einem Polen, der Kriegsgefangener gewesen war und, als Zehner noch ein Kind war, in ihrer Mühle arbeitete. Dieser Pole hatte eine Liebschaft mit einer deutschen Frau, was für einen Polen verboten gewesen sei. Zehner sagte, heute wolle keiner mehr wissen, was sie mit ihm damals gemacht hätten. Dann erzählte er, wie er die beiden im Heuschober beim Lieben beobachtet hatte, von ihren nackten Hintern sprach er und den fuchsfarbenen Haaren dieser Frau, die man später abtransportierte, von den Schwalben, die zu ihren Nestern unterm Dach geflogen waren und ihre Jungen gefüttert hatten, den ganzen Tag hatten sie nichts anderes getan, sich mit ihren Krallen an den Nestern festgeklammert und Insekten in gierig aufgerissene Mäuler gestopft. «Den ganz’n Tag bis zum Dämmern … war nicht mehr viel Zeit, musst’n die Jungen groß krieg’n … und wegflieg’n nach Afrika … un’ dann war se auch weg … weg … weg.»
Alma ging in die Küche, um die Thermoskanne aus der Kaffeemaschine zu holen. Sie kam zu mir, lächelte und sagte, sie freue sich, dass ich wieder mal nach Hause gekommen sei. Dann verschwand sie wieder in der Küche. In der Gaststätte waren alle versorgt, die meisten Märktler wieder gegangen. Die Schwestern schienen irgendwo im Haus unterwegs zu sein. Vielleicht wollten sie noch einmal mit Hermann reden oder suchten nach ihm, weil sie meinten, er sei gar nicht mehr in seinem Zimmer, sondern irgendwo am Fluss bei seinen Fischen, wie Salm und Knuppeglas behauptet hatten.
Als ich, nachdem ich die Gäste bedient hatte, zu Alma in die Küche kam, sagte sie, dass das alles überhaupt keinen Zweck mehr habe. Hermann würde, wenn er überhaupt noch in seinem Zimmer sei, die Tür doch nicht aufmachen, er habe auch seit Tagen nichts mehr gegessen.
«Ich dachte, Leo, auf dich würde er hören. Was machen wir nur, wenn Sartorius kommt?» Alma sah müde aus, ich vermutete wegen der Sorgen, die sie in der letzten Zeit mit Hermann gehabt hatte. Ich fragte mich, was sie an ihm gefunden hatte, was an ihm so Besonderes gewesen war, wieso sie ihn mir vorgezogen hatte, wieso sie nicht von hier weggegangen war, wie sie es immer gewollt hatte. Wenn sie mit uns auf dem Floß gelegen hatte, hatte sie immer von Paris erzählt, obwohl sie noch nie dort gewesen war, sie wollte nach Paris und in einem Hotel arbeiten. Wenn Belgier bei uns logierten, versuchte sie, mit ihnen Französisch zu reden. Sie hatte uns einmal erklärt, dass Arimond, der Name unserer Familie, auch französisch sei und so viel bedeute wie Adlerberg. In ihrem Zimmer hing ein Stadtplan von Paris, den sie auswendig kannte. Sie hatte Verwandte in Paris, die einmal zu Besuch gekommen waren, eine Woche bei uns übernachteten und in der Hauptsaison drei Zimmer belegten, die Alma von ihrem spärlichen Gehalt bezahlte.
Ich fragte Alma, warum sie damals nicht nach Paris gegangen sei. Sie sagte, dass Hermann und Mutter nicht ohne sie zurechtgekommen wären. «Ihr wart ja alle weg, deshalb bin ich zurückgekommen, aber wenn ich das geahnt hätte, wäre ich jetzt nicht hier. Hermann wollte doch auch nichts mehr von mir wissen, und nachdem er diese Frau kennengelernt hatte, erst recht nicht mehr. Deine Schwestern wollen mich hier raus haben. Sie machen mir Vorwürfe wegen des Zustands des Hauses, nur wenn du dabei bist, sagen sie nichts. Ich
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