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Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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Einsiedler gelebt hatte, von dem Reese behauptete, er sei der erste Arimond gewesen.
    Reese erzählte von Valentin, und während ich am Fluss sitze und auf das Wasser sehe, glaube ich Mutter und Valentin in den kleinen glitzernden Wellen zu sehen, wie sie an einem Winterabend vor dem Krieg in den Borgward steigen, der sich dann auf der Höhenstraße zwischen Hallschlag und Prüm überschlägt und einen Hang hinunterfällt. Mutter liegt schwer verletzt auf dem Feld, während Valentin schreiend im Auto verbrennt. Reese hörte einen Moment auf zu stricken, blickte mich an und sagte, dass Mutter Valentin sehr geliebt habe, als sei dies eine Entschuldigung für alles. Nach Valentins Tod sei sie eine andere geworden, habe keine Gefühle mehr gehabt, auch später für ihre eigenen Kinder nicht. Kurz nach Kriegsende sei der Holzaufkäufer zum ersten Mal in die Gaststätte gekommen. Damals habe es an den Markttagen im Ort von Bauern nur so gewimmelt, die mit Pferden, Kühen, Ochsen, Schweinen und Federvieh handelten. Der Holzaufkäufer sei damals oft in die Gaststätte gekommen. Erst Jahre später, als sich das Holzgeschäft nicht mehr lohnte und die Bauern sich nicht mehr so leicht übervorteilen ließen, wechselte er die Branche, fuhr mit dem Perseus, einem elektrischen Akupunkturgerät, von Dorf zu Dorf. Er glaubte, Erkrankungen mit dem Wundergerät heilen zu können, und witterte das große Geschäft. Vielleicht ist dieser Holzaufkäufer Hermanns Vater und vielleicht auch meiner. Aber vielleicht war mein Vater auch irgendein durchreisender Vertreter oder ein amerikanischer Soldat, es war mir damals nicht wichtig gewesen, es herauszufinden, ich dachte, dass ich ganz allein für mich verantwortlich sei, und vielleicht wollte ich auch nur Hermanns richtiger Bruder bleiben.
    Reese erzählte weiter, wie Hermann geboren wurde, später ich und anschließend die Schwestern.
    Als wir schon nicht mehr zu Hause lebten, stritt sich Hermann oft mit Vater, wegen Dingen, die geschehen waren und sich nicht mehr ändern ließen. Schließlich lebte Hermann als Einziger von uns noch zu Hause, er ging allein fischen, wurde immer eigenbrötlerischer. Nachdem ich den Heimatort endlich verlassen hatte, interessierte mich das nicht mehr. Es war eine Zeit lang so, als gäbe es meine Familie, den Ort und die Menschen gar nicht mehr, als hätte ich sie für immer vergessen, als hätte das alles nie existiert.
     
    Ich wate ans Ufer, setze mich auf der Böschung ins Gras und sehe auf den Fluss. Ich werfe ein Stöckchen hinein, es wird von der Randströmung erfasst, treibt auf die Mitte zu, dreht sich langsam um die eigene Achse. Ich lege mich auf die Wiese, höre das Wasser glucksend vorbeiströmen, sehe zum Himmel auf und treibe mit Hermann und Alma auf unserem Floß den Fluss hinunter. Wir hatten das Floß aus Brettern und Kanistern gebaut, die wir im Steinbruch geklaut hatten. Alma lag zwischen uns, sie gehörte uns beiden – jedenfalls glaubten wir das für eine kurze Zeit, weil wir glaubten, dass Menschen einander gehören könnten. Alma kraulte in unseren Haaren, lachte, und ihr Lachen glitzerte auf dem Wasser, in das sie kopfüber sprang und herumschwamm. Dann kletterte sie wieder auf unser Floß, setzte sich zu uns und untersuchte die Haut zwischen ihren Zehen. Ihre Haare kringelten sich von der Nässe. Ich versuche mich an die junge Alma zu erinnern, an uns, wie wir einmal gewesen waren, ich komme mir vor wie der Fisch, den ich gerade fangen will, weil ich nur ein paar schöne vergessene Momente gelebt habe.
    Jetzt fährt auf der anderen Flussseite der Neunuhrzug dicht am Ufer vorbei. Winzige Insekten werden mit aufgewirbelten Blättern aufs Wasser geweht, die Fische steigen gierig danach. Vielleicht werde ich es an dieser Stelle versuchen, vielleicht fange ich hier meinen Fisch.

 
     
     

    Die Nassfliegen sollen dem Fisch ein ertrunkenes Insekt, eine zur Wasseroberfläche aufsteigende Larve oder die Nymphe eines gerade vor dem Ausschlüpfen stehenden Insekts vortäuschen. Entweder die Nassfliege ahmt ein echtes Insekt so naturgetreu wie möglich nach, oder sie ist ein Augenfänger, der allein durch Form und Farbe die Aufmerksamkeit des Fisches erregt.

13
    Ich stand gestern früh hinter der Theke und half Alma. Sie sagte, dass sonst nie so viel Betrieb an Markttagen sei, schon seit Jahren nicht mehr, und nun wohnten auch noch die Brückenarbeiter und Angler im Haus – aber sie wolle sich nicht beschweren, denn sonst säße meist nur

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