Überm Rauschen: Roman (German Edition)
geschwärmt, von den klaren fischreichen Gewässern, von Maaren, in deren Tiefen armlange Aale lebten. Er hatte eine Angelausrüstung dabeigehabt, einen Rucksack, Kleider und viele Bücher. Die Fliege von Paul Maclean hakte an der Brusttasche seiner Anglerweste. Maclean war damals bereits tot gewesen, in einem kleinen Städtchen in Montana erschlagen von Männern, bei denen er Spielschulden gehabt hatte, und Norman, sein Bruder, schrieb gerade an der ersten Fassung des Romans über Paul und das Fliegenfischen. Vater war groß und schlank gewesen, ein stattlicher junger Mann, hatte Reese erzählt, der einen Hut mit kleinen bunt schillernden Eichelhäherfedern trug. Er beabsichtigte während seines Urlaubs, Forellen zu fischen, die größten Forellen, die es bei uns gab, wollte er fangen. Danach hatte er vor, noch einige Jahre zu arbeiten, genau so lange, bis er genug Geld hatte, um Reisen zu unternehmen und Bücher zu schreiben.
Als Vater zum ersten Mal die Gaststätte betrat, war ein schöner Herbstmorgen, genau wie heute, ja, er kam herein, setzte sich an die Theke, bestellte ein Bier. Er entdeckte Mutter und konnte den Blick nicht mehr von ihr lassen. Mutter saß auf einem Hocker hinter der Theke. Sie trug ein blaues Kleid mit weißen Pünktchen, hatte dickes, kastanienrotes, schulterlanges Haar und katzengrüne Augen. Vater war so fasziniert von ihr, dass er zumindest für einige Zeit seine Leidenschaft für das Fischen vergaß. Er verliebte sich sofort in Mutter, sie war um einige Jahre älter, in vielen Dingen erfahrener. Schon einige Monate später heirateten sie. Vielleicht hatte Vater insgeheim gedacht, er könnte jetzt nur noch seiner Leidenschaft, dem Fischen, nachgehen und müsste nicht mehr arbeiten. Doch die Wirklichkeit sah anders aus, er musste sich eine Arbeit suchen und etwas dazuverdienen, zuerst war er auf Montage, bis er dann eine Anstellung im Zementwerk fand. Er wurde immer unzufriedener, trank und redete davon, was er im Leben alles versäumt habe, wie groß sein Talent gewesen sei und was er alles noch machen wolle. Aber er hatte gar kein Talent, nur die Leidenschaft zum Fischen. In seiner Heimatstadt war er ein kleiner Angestellter in einer Eisenwarenhandlung gewesen, den Kopf voller Bücher und Illusionen. Mutter warf ihm später oft vor, er habe sie nur geheiratet, um nicht arbeiten zu müssen, er habe sich nur ein bequemes Leben erhofft.
Wenn Vater hinter der Theke stand, trank er mit den Gästen, prahlte und redete bedeutungsvoll, ließ alle spüren, wie dumm und ungebildet sie doch seien, zitierte aus seinen geliebten Schriften von Bakunin und Stirner und dem «Vollkommenen Angler» von Izaak Walton. Den Leuten hier sagte dies alles nichts. Betrunken schwadronierte Vater von der Eifel, einem von unzähligen großen und kleinen Flüssen durchzogenen Wasserland, den vielfältigen Fischen, einer Chronik des Ortes, die er schreiben werde, die in der Zeit beginne, als es noch keine Menschen gegeben habe, als die Eifel noch ein seichtes Meer gewesen sei, mit Seelilien, Korallenbänken und urzeitlichen Fischen. Später, nachdem sich Kontinente zu Gebirgen gefaltet hatten, Eiszeiten vergangen waren, das Meer sich zurückgezogen hatte, entstanden öde Wüstenlandstriche. In diesem heißen, trockenen Klima wurde unser Tal in Regenzeiten überschwemmt. Im Laufe von Jahrmillionen waren immer neue Welten entstanden, so auch das Tal, wie es jetzt ist, mit seinen engen bewaldeten Schluchten, durch die sich der Fluss seit Jahrhunderten seinen Weg bahnt, gespeist von klaren Bächen und Rinnsalen, die, ähnlich den Zweigen und Ästen eines Baumes, von den Hängen herab den Fluss mit Wasser versorgen. Vater sprach von der Besiedlung der Eifel durch die Kelten, die Franken, den durch die Eifel ziehenden brandschatzenden Wikingern, von römischen Villen und Kastellen, dem dunklen Mittelalter, der Zeit unter preußischer Herrschaft und den Franzosenkriegen, den Söhnen des Ortes, die mit Napoleons Armee Ägypten eroberten, die mit dem großen Feldherrn nach Russland zogen und im Schnee erfroren, vom Bau der Eisenbahnlinien, dem Weltkrieg, in dem die Eifel ein großes Schlachtfeld gewesen war. Vater erzählte von Menschen und Fischen, dem uralten Fisch Ichthys.
«Wir sind nicht mehr als winzige Schaumblasen auf einer Welle in einem flüchtigen Augenblick», pflegte er oft betrunken zu philosophieren. Hohlmeier, Mettgraf, Braden, Kronbus, Claes, Schwickrath, Delamot, Welter und wer sonst noch an der Theke
Weitere Kostenlose Bücher