Übersinnlich
es schien nicht zu gelingen. „Sie ist noch so viel älter, als stammte sie aus einem früheren Leben.“
Nun ließ sie sich doch auf den gepolsterten Stuhl hinter sich sinken. Natürlich musste sie durcheinander sein. Er wäre es an ihrer Stelle auch. Sein Herz klopfte immer schneller, weil sie kurz davorstand, sich an alles zu erinnern und erkennen würde, wer sie war. Und vor allem, wer er war.
„Ich kann Ihnen vielleicht helfen, diese Erinnerungen aufzufrischen“, bot er hilfreich, wenn auch nicht uneigennützig, an.
„Nein, das brauchen Sie nicht.“ Sie hob eine Hand und schüttelte den Kopf. „Diese Erinnerungen sind so fern, sie haben nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun.“
Enttäuschung machte sich breit, aber er war auch bereit, das zu akzeptieren. Selbst wenn seine Königin niemals erwachte, er würde sie dennoch immer lieben.
„Bis auf eine.“
Nun horchte er auf. Isabella starrte auf ihre Hände, die sie nervös in ihrem Schoß knetete. „Wissen Sie, ich habe in Ihrer Gegenwart immer eine … Vertrautheit gespürt, als würde ich Sie schon ewig kennen.“
Er lächelte..
„Schon damals, als Sie mich in den Hausflur zogen, fühlte es sich richtig an, von Ihnen … “, sie räusperte sich und fuhr leiser fort, „berührt zu werden.“ Ihre Hände glitten über ihr Gesicht. „Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich verstehe es selbst nicht. Doch ich fühlte mich … zu Ihnen hingezogen. Dabei kenne ich Sie gar nicht. Und jetzt, nachdem ich diese Erinnerungen hatte, an diese Zeit, die ich nie selbst erlebte, scheint es noch stärker zu sein.“
„Du hast diese Zeit erlebt. Mit mir“, sagte er sanft und stand auf, ließ sich neben ihrem Stuhl auf ein Knie sinken und griff nach ihrer zarten Hand, führte sie zu seinen Lippen und hauchte einen kleinen Kuss auf ihren Handrücken.
Isabella beobachtete den Vampir sehr genau. Ihr Vater hatte ihr gesagt, wie einflussreich er war und wie viel von ihm und seinen Entscheidungen abhing. Er war derjenige gewesen, der den Krieg zwischen Vampiren und Werwölfen beendet hatte. Doch Isabella sah in ihm viel mehr als nur den „Mächtigsten“, wie sie ihn nannten. Sie sah seine Gefühle, seine Sehnsüchte. Und als er seine Lippen von ihrer Hand löste, sah sie auch einen Schimmer in seinen Augen.
„Mein Herz sagt, dass ich Sie liebe“, flüsterte sie ergriffen, zugleich hin- und hergerissen zwischen ihren unerklärlichen Gefühlen für einen Fremden, der ihr doch vertrauter war als jeder andere, und ihrem Verstand, der sich noch immer gegen das Unglaubliche wehrte. Doch er schob einen Riegel vor ihre Gedanken, denn ehe sie etwas tun konnte, umschlossen seine Lippen die ihren. Ein wilder, feuriger Kuss, der vor Leidenschaft und Verlangen glühte. Isabella öffnete den Mund, ließ ihn bereitwillig ein, rieb mit ihrer Zunge gegen seine. Plötzlich machte ihr Körper, was er wollte. Ihre Hände griffen seinen Hinterkopf, pressten seine Lippen noch fester an die ihren, und dieser Kuss fühlte sich wie eine Befreiung an, wie etwas, nach dem sie schon immer gesucht hatte.
Als er von ihr abließ, blickte sie ihm erneut in die Augen, der Schimmer war verschwunden, stattdessen funkelten, nein, leuchteten sie.
„Das alles geht so schnell.“ Sie wusste nicht genau, was sie denken, was sie fühlen sollte. Nur eines war ihr bewusst. Sie liebte diesen Kerl. Sie hatte es irgendwie immer getan.
„Ich habe lange auf diesen Moment gewartet“, gestand er. „Viel länger, als du dir vorstellen kannst. Aber wenn es dir nun zu schnell geht, wenn du Zeit brauchst, um …“
Sie lächelte gerührt über seine Worte und legte ihm ihren Zeigefinger auf den Mund, dabei schüttelte sie den Schopf, sodass sich ihr Haarknoten löste und ihre Locken hin- und herflogen. Danach griff sie nach seinem Kinn und zog es noch einmal zu sich, um ihn zu küssen. Ob sie eines Tages wirklich die Königin der Vampire und Werwölfe sein wollte, wusste sie jetzt noch nicht. Aber sie wollte alles über ihr früheres Leben und über ihre Liebe zu ihrem Leibwächter Vasterian erfahren. Und sie wollte ihm nah sein.
Während er ihren Kuss mit einem hingebungsvollen Seufzen erwiderte, sah sie den wolkenverhangenen Mond durch das riesige Panoramafenster, als wachte Lykandras Auge wohlwollend über sie.
Helene Henke
Zum Roman
Electrica – Lord des Lichts
Preston 1648
Cayden Maclean lag mit dem Gesicht im Dreck. Instinktiv versuchte er, den krampfhaften Husten zu unterdrücken,
Weitere Kostenlose Bücher