überSINNLICHE Nächte - überSINNLICHE Nächte - Wild Nights
ihn dir wiederbringen.«
Ulrich fuhr auf seinem Stuhl herum und starrte seine Frau an. Camille lächelte ihn an, aber sie hob die Hand, um ihn zurückzuhalten. Sie beugte sich zu Keisha herüber und legte ihre Hand auf Keishas glatten Bauch.
»Es war dein Kind, das mich zurückgebracht hat. Du trägst eine Tochter unter dem Herzen, wie einst auch ich eine Tochter gebar.«
Camilles Stimme war stark und ruhig. An ihr war absolut nichts Geisterhaftes. »Seit so langer Zeit schwebe ich zwischen den Welten und bin weder hier noch dort daheim. Es gab keine Farbe, kein Geräusch und keine Empfindung. Ich hatte nur den Kummer, dass ich nicht zurück in die Welt der Lebenden konnte. Aber ich fand ebenso wenig den Weg ins Reich der Toten, wohin ich hätte gehen sollen. Und dann spürte ich dein Baby. Ein kleines Mädchen, das so sehr meiner Tia gleicht. Sie hat mich hergebracht.«
Camille schloss die Augen. Sie atmete tief durch, als müsse sie die Luft schmecken und genießen, wie sich ihre Lungen weiteten. Ihre Finger flatterten über Keishas flachem Bauch. »Ich wünsche dir alles gute, geliebte Nichte. Dein Kind wird dir sehr ähneln. Es wird ein starkes und schönes Mädchen. Sie wird eine Chanku sein, die eins mit dem Wald ist. Wie wir alle. Pass gut auf sie auf.«
Als Nächstes durchmaß Camille den kleinen Kreis zur anderen Seite. Sie ignorierte Ulrich, als wäre er gar nicht da. Vor Luc blieb sie stehen und betrachtete ihn nachdenklich. Schließlich nahm sie seine rechte Hand und löste sie aus Xandis festem Griff.
»Ich wollte nicht so jung sterben. Aber mein Tod war nicht dein Fehler. Du hast nur deine Arbeit gemacht. Nicht mehr, nicht weniger. Was passiert ist, war vorherbestimmt. Nicht nur wegen meiner eigenen, bewussten Handlungen, sondern auch durch das Rad des Schicksals. Niemand von uns hat die Macht, seinem Schicksal zu entgehen, erst recht nicht, es zu ändern. Dein Schicksal war es, Tia zu finden, von deinem eigenen Chankuerbe zu erfahren und für Pack Dynamics zu arbeiten ... Es gab so viele große und kleine Gründe in den letzten zwanzig Jahren, weshalb ich sterben musste. Die Vergangenheit ist genau so passiert, wie sie musste. Auch die Zukunft ist vorherbestimmt. Lass nicht zu, dass die Schuldgefühle das wunderbare Leben unterspülen, das du hast. Lebe ab jetzt ohne das Gewicht, das du so lange mit dir herumgetragen hast.«
Camille drückte Lucs Hand und ließ sie los. Segnend ließ sie ihre Hand über seine Wange gleiten. Tränen brannten in seinen Augen. Luc bemerkte seine Tränen nur, weil die Vision vor seinen Augen verschwamm und für einen kurzen Moment verschwand.
Und im selben Moment verschwand auch das Gewicht der Schuld, das seine Schultern in den letzten zwanzig Jahren niedergedrückt hatte.
Tia versuchte zu schlucken. Es ging nicht. Sie spürte Lucs starke Finger, die ihre umschlossen. Aber als Camille sich an sie wandte und sie anblickte, verblasste alles andere um sie.
»Mom?« Tia löste ihre Hand von Lucs und streckte beide Arme nach ihrer Mutter aus.
Camille schluchzte erstickt auf und streckte ihr die Hände entgegen. Tia stürzte geradezu in ihre Umarmung. Sie spürte die dünnen Arme, die sich um ihren Rücken legten. Sie roch den Duft der Lieblingsparfüms ihrer Mutter, der ihr plötzlich wieder so vertraut war.
Wie von Zauberhand waren all die Erinnerungen wieder da, die Tia lange Zeit tief in sich vergraben hatte. Sie erinnerte sich an ihr Lieblingsessen und an Spaziergänge am Ocean Beach. Sie erinnerte sich daran, wie sie im Park spielten oder in den Zoo gingen, wie sie am Union Square einkauften. Fahrten mit dem Bollerwagen an sonnigen Tagen. Wie sie mit ihrer Mutter an Sommertagen über die Golden Gate Bridge gelaufen war und der Wind ihr Haar zerzauste.
Eine ganze Kindheit voller Erinnerungen, die das Trauma, von ihrer Mutter verlassen zu werden, verschüttet hatte. Erinnerungen, die so lange fort gewesen waren und jetzt in ihr erblühten wie Blumen nach einem langen Winter. Es waren farbenprächtige und helle Erinnerungen, die voller Gerüche und Geräusche waren. Schluchzend umarmte Tia Camille. Diese Umarmung schien Stunden zu dauern ... doch später glaubte sie, es wäre nur ein kurzer Moment gewesen.
Viel zu kurz, um eine ganze Kindheit aufzuwiegen.
Schließlich spürte Tia, wie sich die Arme ihrer Mutter entspannten. Sie senkte ihre eigenen Arme und trat zurück. Erst jetzt merkte Tia, dass sie ihre Mutter ein gutes Stück überragte. Schniefend wischte
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