Überwachtes Netz
machen, bedarf schon abenteuerlicher Rabulistik, vor der Friedensnobelpreisträger Barack Obama und seine Mannen aber auch nicht zurückschrecken.
Am Dienstag und am Donnerstag derselben Woche, in der Lavabit aufgab, traf sich der US-Präsident höchstselbst mit den Chefs der amerikanischen High-Tech-Branche: Apple, AT&T, Facebook, Yahoo, Microsoft und Google. Einige Bürgerrechtsorganisationen durften ebenfalls teilnehmen. Es wurde dem Vernehmen nach über die technische Überwachung gesprochen. Genaueres wurde allerdings nicht bekannt, denn die Treffen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Wir sind es ohnehin langsam gewöhnt, erst aus der Zeitung zu lernen, was wirklich in den amerikanischen Unternehmen gespeichert, ausgeleitet und dann von den Geheimdiensten ausgewertet wird. Keine der betroffenen Regierungen hat zur Aufklärung der tatsächlichen Details der geheimdienstlichen Vorgänge auch nur ein Bit beigetragen. Vielleicht wird in den Krisentreffen im Weißen Haus offen geredet, wie weit die US-Unternehmen den Geheimdiensten technisch entgegenkommen.
Den großen Datenspeicher-Unternehmen war offenkundig die erzwungene Geheimhaltung ganz recht, konnten sie sich doch vor ihren Nutzern hinter wolkigen Klauseln verstecken: »Wir arbeiten im Einzelfall wie gesetzlich vorgeschrieben mit Strafverfolgern zusammen.« Erst als durch die Snowden-Enthüllungen das Ausmaß der »Einzelfälle« und die gut geölten technischen Schnittstellen für die Datenübermittlung an die Dienste klar wurden, wollten Google, Microsoft & Co. plötzlich etwas mehr Transparenz in das Procedere bringen. Aber natürlich auch nicht zu viel, das könnte die Kunden verschrecken.
Dass die Branchenriesen dem Präsidenten mit der Einstellung ihrer Dienstleistungen nach dem Vorbild Lavabit gedroht haben könnten, darf als ausgeschlossen gelten. Googles Geschäftsmodell würde nach Bekunden von Firmenvertretern schlicht nicht funktionieren, wenn die Nutzerdaten auf seinen Servern so gespeichert wären, dass die Firma sie nicht auswerten könnte.
Obwohl einige der US-Firmen mehrfach versucht haben, gerichtlich gegen die in den letzten Jahren in mehreren Schritten erweiterten Abhörmethoden vorzugehen: Die Krisengespräche dürften eher dem Umstand geschuldet sein, dass in der amerikanischen Wirtschaft so langsam die Angst umgeht. Die Cloud-Dienste, bei denen US-Unternehmen bislang unangefochtene Marktführer sind, verspüren einen erheblichen Einbruch von Nachfragen und Umsatz aus Europa und Asien. Das Vertrauen, dass die Daten dort schon sicher seien, ist dahin und wird so schnell auch nicht wiederherzustellen sein.
Die Warnung des Lavabit-Gründers in seiner Mitteilung über die Einstellung seiner Firma ist jedenfalls klar und eindeutig: Unter US-amerikanischer Jurisdiktion Dienste mit Privatsphären-Garantie anbieten zu wollen, ist schlicht nicht mehr möglich. Zu groß ist die Datengier der Geheimdienste, zu weitreichend ihre legalen Mittel und sonstigen Hebel, um sich den Zugriff zu erzwingen.
In den 1990er Jahren war der offensichtliche Versuch, kryptographische Verfahren zur Privatsphärenwahrung durch vorgeschriebene Hintertüren zu umgehen, gescheitert – die sogenannten Crypto Wars. Nun wird das gleiche Ziel durch juristische Knochenbrecher-Taktiken zur Knebelung und Verpflichtung der amerikanischen Internet-Anbieter erreicht, auf deren Sicherheitsversprechen sich die meisten Nutzer verlassen.
Der alte Kampf der Geheimdienste gegen die Verschlüsselung, die ihren Anspruch einschränkt, jede Kommunikation lesen und auf alle Daten zugreifen zu können, ist in eine neue Phase getreten. Die »Crypto Wars 2.0« werden mit geheimen Abhör-Anordnungen, mit geheimdienstlichem Hacking und dem Einsatz von Trojanern ausgefochten. Auf der Strecke bleiben Privatsphäre und Rechtsstaat, geopfert auf dem Altar eines nebulösen Sicherheitsversprechens, das nur noch das Feigenblatt zur Machterhaltung der Geheimdienste ist.
Erschienen am 10. August 2013 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung [16] .
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Richard Gutjahr
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