Überwachtes Netz
Krypto-Kriege
Constanze Kurz, Frank Rieger
Das Angebot, das der texanische Dienstleister Lavabit seinen Kunden machte, war in Hinsicht auf die NSA-Diskussionen der letzten Monate ausgesprochen zeitgemäß: E-Mails wurden auf dem Server verschlüsselt gespeichert, nur der Empfänger konnte mit seinem Passwort darauf zugreifen. Zu den Kunden zählte Edward Snowden, als Geheimdienstmitarbeiter mit der Notwendigkeit, die eigene Kommunikation zu schützen, überaus vertraut.
Doch der Kunde Snowden wurde Lavabit zum Verhängnis. Seit schon kurz nach Beginn seiner NSA-Enthüllungen bekannt wurde, dass er seine E-Mails bei diesem Anbieter speicherte, dürften die Geheimdienste dort vorstellig geworden sein. Laut den Angaben des Lavabit-Gründers Ladar Levison folgte ein wochenlanges juristisches Tauziehen – das er am Ende verlor.
Der Dienst zog jetzt die Notbremse und stellte sein Angebot kurzerhand vollständig ein. Ein ebenso drastischer wie konsequenter Schritt: Levison schrieb, er wolle kein Komplize werden bei Verbrechen an der amerikanischen Bevölkerung. Sein Unternehmen beruhte schließlich auf dem Versprechen sicherer Kommunikationsinfrastruktur.
Die neuesten Opfer der außer Rand und Band geratenen Geheimdienst-Clique sind also kleinere amerikanische Anbieter, die sich den Verfassungsgrundsätzen verpflichtet fühlen, sowie als Kollateralschaden die zehntausenden privaten und ein paar dutzend Unternehmen als Kunden von Lavabit. Ein weiterer amerikanischer Anbieter, der ein ähnliches Produkt offerierte, stellte einen Tag später ebenfalls seinen E-Mail-Dienst ein. Man wolle sich nicht in eine Situation bringen, in der man zwischen der Loyalität zu den Nutzern und den Forderungen des Staates entscheiden müsse.
Die Details der Forderungen an Lavabit sind geheim. Da die Firma in der Vergangenheit in Einzelfällen durchaus bei legitimen Strafverfolger-Anfragen kooperiert hat, muss es wohl ein weitreichendes, die üblichen Prozeduren weit übersteigendes Ansinnen der Geheimdienste gewesen sein, das Lavabit zuerst zum juristischen Widerstand und dann zur Aufgabe bewegte. In solchen Fällen könnte ein »National Security Letter« erwirkt worden sein, der jegliche Preisgabe der Umstände an die Öffentlichkeit strikt verbietet, oder ein Beschluss des FISA-Geheimgerichts ergangen sein, der ebenfalls zu Stillschweigen zwingt.
Durch die Mechanismen, die nach dem 11. September mit dem »USA PATRIOT Act«, den FISA-Geheimgerichten und weiteren Ermächtigungen für schrankenlosen Zugriff etabliert wurden, können FBI, NSA & Co. Kommunikationsanbieter und Internetdienste quasi auf dem kleinen Dienstweg zur Kooperation nötigen. Juristische Gegenwehr ist praktisch nie erfolgreich, alles ist geheimzuhalten, womit es auch unmöglich ist, sich Unterstützung in der Öffentlichkeit zu holen. Geheime Schnüffelanordnungen, die auch ohne Richterbeteiligung erteilt werden können, mit geheimgehaltenen Begründungen, können nur vor Geheimgerichten angefochten werden – und die Betroffenen dürfen nicht einmal darüber reden. Das alles geschieht natürlich im Namen der Sicherheit vor dem Terrorismus – dem universellen Totschlagargument zur Aushebelung normaler Rechtsstaatsprozeduren.
Die Causa Snowden wird somit mehr und mehr zum Moment, in dem die Masken fallen und der »deep state«, wie die Washington Post den gigantischen Sicherheitsapparat in den USA getauft hat, seine wahres Gesicht zeigt. Denn das Verhalten gegen Lavabit rückt verdächtig nahe an Erpressung und Nötigung. Die Konturen, die immer mehr sichtbar werden, lassen erahnen, dass die Grundsätze der freiheitlichen Gesellschaft, die einst in der Verfassung der USA niedergelegt wurden und die nach dem Krieg auch ihren Niederschlag im westdeutschen Grundgesetz fanden, auch für Inländer nicht mehr viel gelten.
Nach CIA-Foltergefängnissen, massenweisen, noch immer anhaltenden Drohnen-Morden und mit auf nachgewiesenen Lügen begründeten Kriegen, die aber fern der Heimat stattfinden und für den normalen US-Bürger gut zu ignorieren sind, ist die Grundrechtsabschaffung im Namen der Sicherheit nun ganz spür- und sichtbar zuhause angekommen.
Das Interessante daran ist: Im Falle Snowden geht es nicht einmal um die Sicherheit vor Terroristen. Es geht um schnöde Rache der Geheimdienste an einem Abtrünnigen, der es gewagt hat, etwas Licht hinter den Vorhang der Geheimniskrämerei zu werfen. Zu begründen, die Verfolgung von Snowden würde das Land sicherer
Weitere Kostenlose Bücher