Überwachtes Netz
heutigen Technologie. Dorothee Bölke, die selbst mehrere Jahre als Justiziarin im SPIEGEL-Verlag gearbeitet hat, warnt: »Es gab Fälle, bei denen Strafbehörden unter Vorwand der Verletzung von Dienstgeheimnissen, Redaktionsräume durchsuchen ließen, um in diesem Zusammenhang auf Informationen über Kontakte und Quellen zu stoßen, die mit dem eigentlichen Durchsuchungsgrund gar nichts zu tun hatten.«
Die Algorithmen, mit denen die Stecknadel im Full-Take-Heuhaufen gefunden werden kann, werden immer effektiver. »Wenn gerade der E-Mail-Verkehr nach politisch sensiblen Stichworten gefiltert wird«, so die Medienrechtlerin Dorothee Bölke, »dann sehe ich da die Gefahr, dass gerade Journalisten ins Raster der Überwachung fallen.« Ob investigativer Reporter, Jurist oder Chefredakteur, wen immer man zu den Snowden-Enthüllungen befragt, man spürt eine große Verunsicherung. Und das ausgerechnet in einer Branche, die sonst selten verlegen ist um einen Kommentar. »Wir wissen nicht, was davon tatsächlich genutzt wird«, so der Computer-Experte Jürgen Kuri. »Noch weniger wissen wir, was alles mit diesen Daten in fünf Jahren gemacht werden kann.«
Also doch besser zurück zur analogen Kommunikation? Nach einem Bericht der russischen Zeitung Iswestija setzt der Föderale Schutzdienst Russlands seit kurzem angeblich wieder verstärkt auf Schreibmaschinen. Besonders beliebt bei den Spionen sei das deutsche Modell Triumph-Adler Twen 180. Jürgen Kuri vom Computermagazin c’t bringt es auf eine einfache Formel: »Sicher ist gar nichts.« Man könne nur versuchen, es seinen Überwachern so umständlich und so teuer wie möglich zu machen, sie auf diese Art und Weise zu einer Art »Kosten-Nutzen-Abwägung« zu zwingen. »Das ist die einzige Möglichkeit, die ich da momentan sehe.«
»Ich gehöre zu denen, die in der Lage wären, meine E-Mails selbst zu verschlüsseln«, sagt der WDR-Journalist Ranga Yogeshwar. »Aber wenn ich das täte, wäre das eine Kapitulationserklärung der Demokratie«. Der TV-Moderator empört sich darüber, dass seit den Snowden-Enthüllungen in den ARD-Talkshows zur Hauptsendezeit lieber über Themen wie »Rente«, der »Aldi-Check« oder »Schlaglöcher in deutschen Straßen« diskutiert werde. »Die Logik dahinter ist, dass diese Themen populistisch sind und viel Quote bringen. Eine Diskussion um die NSA wäre sehr viel sperriger und doch gesellschaftlich sehr viel wichtiger, wie ich finde.«
Frank Schirrmacher fasst das Themenspektrum, mit dem sich Journalisten jetzt befassen sollten, eine Nummer größer: Das eigentliche Thema sei die Frage der Macht. »Wer hat die Macht über die Maschinen?« formuliert er in seiner E-Mail an den »journalist«. Wenn sich das staatliche Gewaltmonopol mit Industriegiganten der Informationsökonomie verbinde, habe ein neues Spiel begonnen, warnt er. »Ein wirklicher Albtraum«, so der Zeitungsmann. Neuland? Man werde sich noch wünschen, dass das Netz für die Politiker Neuland war:
»Alle digitalen Texte werden von Maschinen der Überwachung gelesen. Jedes menschliche Verhalten wird in der digitalen Ökologie selber zum Text, der überwacht, gescreent, gewichtet, auseinandergeschraubt wird. Interpunktion, Grußformeln, Abkürzungen werden zum Distinktionsmerkmal, Fotos werden gescannt und Gedanken rekonstruiert und vorhergesagt, kurz: andere bestimmen jetzt die ‘wahre’ Rationalität von Texten. Das trifft den Journalismus im Innersten. Das, worüber er Kontrolle zu haben glaubt, seine Sprache wird ihm entwendet. In einer Welt des algorithmischen Doppelagententums, in denen die Netzwerke, denen man sich anvertraut, Spione und potentielle Verräter sind, ändert sich weit mehr als wir uns heute vorstellen können.«
Die Worte Schirrmachers erinnern stark an die Prophezeiungen eines anderen »Herausgebers«. Ein Herausgeber von Geheimnissen, der seit eineinhalb Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt: Julian Assange hatte bereits im vergangenen November in einem Schaltgespräch mit dem Autor das düstere Bild einer Daten-Dystopie an die Wand gemalt: Die millionenfachen Abhörmaßnahmen und die massenhafte Speicherung von Informationen träfen auf immer anspruchsvollere Suchalgorithmen. »Eine massive, beispiellose Transformation von Macht. Denn Information ist Macht.«
Sollten sich Journalisten zusammenschließen, um gegen die ausufernde Überwachung zu protestieren? »Das würde ich gar nicht als Journalist tun«, sagt Georg
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