Überwachtes Netz
Whistleblower noch unnachgiebiger vor als George W. Bush und alle seiner Vorgänger. Journalisten, die mit Whistleblowern reden, geraten selbst ins mediale Kreuzfeuer, werden in der Öffentlichkeit als Staatsfeinde oder Beihelfer von Terroristen gebrandmarkt. So ließ sich der New York Times-Kolumnist Andrew Sorkin in einem TV-Interview zu der Aussage hinreißen, er würde den Guardian-Journalisten Glenn Greenwald für dessen Komplizenschaft mit Snowden am liebsten gleich mitverhaften. Amerika habe derzeit keine funktionierende Demokratie, bringt es der frühere US-Präsident Jimmy Carter auf den Punkt.
Eine bei Weitem noch größere Bedrohung als die tatsächliche Verfolgung von Informanten sei der sogenannte »Chill Faktor«, warnt der Medienprofessor und Bestsellerautor Jeff Jarvis (»What would Google do?«) gegenüber dem »journalist«. Die Informanten würden sich zunehmend zurückhalten, aufgrund dieses »Kriegs gegen die Whistleblower«. Ähnlich sieht das auch die Hamburger Medienanwältin Dorothee Bölke: »Mit dem Vertrauensverlust gehen uns die Informanten verloren. Die Informanten sind aber notwendig für eine funktionierende Presse in einem freiheitlichen Rechtsstaat.«
Jeff Jarvis tut sich schwer, den Schaden zu quantifizieren, denn wer auf brisanten Informationen sitzt, verhalte sich still. »Selbst wenn sich jemand ein Herz fasse, um mit einem Journalisten zu reden, ist die Kontaktaufnahme sehr viel komplizierter geworden, zumindest, wenn man es halbwegs sicher machen will.« Es erscheint paradox: Durch die digitale Kommunikation war es noch nie so leicht, mit Journalisten in Kontakt zu treten – und noch nie so schwer. Das Problem: »Wenn wir Mist bauen und eine unserer Quellen auffliegt, dann wird niemand mehr mit uns reden – ein Teufelskreis«, so Jarvis.
Müssen investigative Journalisten künftig ihre Mails verschlüsseln? So wie einst Deep Throat dem Washington-Post-Reporter Bob Woodward präzise Anweisungen für ihre Kommunikation gab, musste auch Edward Snowden seinem Kontaktmann beim Guardian zunächst einen Crashkurs in Verschlüsselungstechniken geben. »Verschlüsselung funktioniert«, so der ehemalige NSA-Mann auf die Frage eines Lesers im Guardian-Livechat. Richtig angewandt sei sie sogar äußerst zuverlässig. Dann räumt Snowden allerdings ein: Das eigentliche Problem sei die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.
Jürgen Kuri, stellvertretender Chefredakteur der Computerzeitschrift c’t, erklärt: »E-Mails muss man sich wie Postkarten vorstellen, die jeder lesen kann. Verschlüsselte E-Mails sind Postkarten, die man vor dem Versenden in einen Briefumschlag gesteckt hat.« Auch die ließen sich heimlich öffnen, nur der Aufwand sei für die Mitleser eben deutlich größer. »Gegen professionelle Technologien eines Geheimdienstes haben wir keine Chance«, relativiert Georg Mascolo, der als SPIEGEL-Journalist und ehemaliger Chefredakteur schon über unzählige Spionage-Skandale berichtet hat. »Wir sind keine Geheimdienste. Wir sind Journalisten.«
Auf die Frage, weshalb die Süddeutsche Zeitung noch keine Möglichkeit anbiete, verschlüsselte Mails zu empfangen, antwortet Stefan Plöchinger, Chefredakteur von sueddeutsche.de: »Ich habe in mehreren Projekten die Erfahrung gemacht, dass Sicherungsinstrumente versagt haben, ohne da präziser werden zu können. Meine Lehre war: Wenn ich Menschen etwas vermeintlich Sicheres öffentlich empfehle, zum Beispiel auf einer Toter-Briefkasten-Seite im Internet, fühlen sie sich dadurch vermutlich sicherer, als ich es ihnen garantieren kann.«
Auch Ronen Bergman, Geheimdienst-Experte bei der israelischen Tageszeitung Yedi’ot Acharonot, ist skeptisch. Man könne niemals wirklich sicher sein, dass die Verschlüsselungstechnologie, die man gerade benutzt, nicht schon lange geknackt ist. So hätten die Leute beispielsweise lange geglaubt, die Kommunikation über Skype sei sicher. »Snowden zeigt uns jetzt das genaue Gegenteil«. Selbst wenn eine Nachricht sicher verschlüsselt ist, könnte man noch immer einen Trojaner auf den Rechner spielen. »In dem Moment, in dem du die Mail öffnest und dechiffrierst, ist sie auch für deine Überwacher lesbar.«
Was den Schutz ihrer Quellen betrifft, sind Journalisten gesetzlich abgesichert durch das Zeugnisverweigerungsrecht. Doch was, wenn Journalisten in Zukunft gar nicht mehr nach ihren Quellen befragt werden müssen? Man stelle sich eine SPIEGEL- oder Cicero-Affäre vor, unter Zuhilfenahme der
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