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Überwachtes Netz

Überwachtes Netz

Titel: Überwachtes Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Meister Markus Beckedahl
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versehentlich für eine gehalten werde. Für Aktivistinnen außerhalb der USA und Großbritannien interessieren sich NSA und GCHQ nicht besonders, und die deutschen Behörden wissen in etwa, was ich so mache. Das hilft nicht immer, schon klar, aber für die meisten stimmt es schon. Für alle aus arabischen Ländern oder mit arabischen Namen allerdings sieht es schon wieder anders aus.
    Viele fühlen sich also nicht wirklich persönlich bedroht. Wir sind nicht die Terroristen, die sie suchen. Und weil alle überwacht werden, verschwinden wir irgendwie in der Masse. Es ist unvorstellbar, wie aus der Datenmenge etwas entstehen kann, das tatsächlich mich persönlich gefährdet. Dazu kommt, dass die Totalität der Überwachung und die Menge der (demokratisch legitimierten) Behörden, die darin verstrickt sind, schwer zu begreifen sind.
    Bedrohlicher ist die Massenüberwachung auf einer abstrakteren Ebene für Menschen, die sich mit dem Alltag von Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdiensten beschäftigen, für die, die besser verstehen, welche Macht in technischen Systemen liegt und für die, die sich Gedanken über politische Systeme und die Idee der Demokratie machen.
    Weniger bedrohlich ist sie für Menschen, die andere, spürbarere Probleme haben; weil sie von der Wirtschaftskrise betroffen sind – viele Menschen in anderen europäischen und nicht-europäischen Ländern – oder weil sie viel direktere Formen von Überwachung erleben, z.B. Trojaner-Viren, die von Regierungen gegen die Opposition eingesetzt werden.
    Wer beobachtet wird, ändert das Verhalten
    Ein zentrales Problem der Überwachung für alle ist, dass wir unser Verhalten ändern, wenn wir wissen, dass wir beobachtet werden. Das ist vielfach erforscht und beschrieben worden. Damit erleben wir eine direkte Einschränkung von elementaren Freiheiten und Grundrechten, in erster Linie der Meinungsfreiheit. Das wirkt sich auf alles aus, was wir öffentlich sagen oder schreiben und natürlich auch auf Situationen, von denen wir annehmen, dass sie nicht-öffentlich sind: etwa private E-Mails und Gespräche, nicht-öffentliche Websites oder auch alle scheinbar durch Privacy-Einstellungen geschützten Online-Plattformen wie Facebook oder Flickr. Wenn wir aber nirgends den Raum haben, frei zu sagen oder zu schreiben, was wir denken und damit auch keinen Raum haben, Gedanken zu entwickeln, zu testen und zu überprüfen: Wieviel Freiheit bleibt dann noch? [13]
    Ich weiß das alles und habe dennoch den Eindruck, dass sich an meinem Verhalten nicht viel ändert. Ein bisschen mehr Verschlüsselung, ein bisschen weniger Google-Suche. Ich schalte mein Smartphone öfter aus und achte darauf, dass es nicht den ganzen Tag auf meinem Schreibtisch liegt. Die Kamera an meinem Laptop war vorher schon abgeklebt, seit den Leaks lege ich auch etwas auf die Kamera meines Telefons. Ich schreibe meistens, was ich für richtig halte.
    Andererseits: Wie wäre es, wenn ich sicher sein könnte, dass wirklich niemand mitläse? Bzw. meine (mehr oder weniger) öffentlichen Texte auf mögliche terroristische, kritische, auffällige Inhalte überprüfte und in unbekannte Kategorien von Geheimdienst-Datenbanken einsortierte?
    Eine weitere Auswirkung sind die vielen Gespräche mit Leuten, die jetzt gern verschlüsseln würden, aber nicht wissen, wie. Dann kam die Nachricht, dass auch Verschlüsselung geknackt werden kann. Danach Gespräche darüber, ob das stimmt, in welchen Fällen das stimmt und wen das betrifft.
    Mit »E-Mail made in Germany« wollen Telekom, WEB.DE und GMX sichere E-Mail anbieten [14] , aber was heißt eigentlich sicher? Was meinen sie mit »verschlüsselt«? Oder ist das den Leuten nicht sowieso egal, weil die sich nur kurz beruhigen und dann wieder mit was anderem beschäftigen wollen? Macht es Sinn, damit anzufangen, Leuten das Verschlüsseln beizubringen, wenn sie sich letztlich doch nicht von ihrer Webmail trennen werden und alles andere zu kompliziert finden, um es regelmäßig in ihren Alltag zu integrieren? Besser wäre, dazu beizutragen, dass die nötigen Werkzeuge einfacher zu benutzen sind. Trotzdem wird es sie nicht heute und auch nicht im nächsten Monat geben.
    Die Liste der Sachen, die ich mir genauer durchlesen will, damit ich besser verstehe, worauf es bei bestimmten Sicherheitsmaßnahmen ankommt, wächst. Immerhin ist es beruhigend, zu sehen, dass Krypto-Expert/innen aller Gewichtsklassen ständig diskutieren, worauf es wirklich ankommt und sich selten

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