Überwachtes Netz
der Beschneidung von Bürgerrechten basieren, sondern darüber hinaus sogar darauf ausgerichtet sind, Bürger in ihren Freiheiten und Rechten massiv einzuschränken. Wäre dem nicht so, könnten wir folgende Fragen beantworten: Wird Snowden jemals wieder ein freier Bürger sein können? Wird er jemals Anerkennung finden von jenem Staat, dem sein konstruktives Aufbegehren als Bürger gilt? Doch das steht wohl genauso in den Sternen wie der Verbleib des Bürger-Modells an sich.
Die Veränderungen von Staatlichkeit lassen offen, ob und wie wir in Zukunft in der Lage sein werden, uns als Bürger zu begreifen. Welche Rechte werden wir haben? Auf welchen Gesetzen werden sie fußen? Welches Selbst-Bewusstsein wird uns antreiben? Wie groß und in welcher Weise ausgeprägt wird unser Wille zum Politischen sein? Welches Verhältnis zum Staat werden wir haben? Eines ist klar und auch daran erinnert: Sowohl der Bürger als auch der Staat – beides muss immer und immer wieder erkämpft werden, weil beides nicht gegeben ist (allenfalls nur auf dem Papier oder als Lippenbekenntnis). Und weil beides überformt ist durch die Logik des Marktes. Das heißt aber auch, dass der Kampf sowohl auf der politischen Ebene als auch auf der intellektuellen Ebene geführt werden muss. Wir müssen Staat und Bürger auch neu denken.
Hindernisse und Hürden
Die Kluft zwischen Bürger und Staat ist inzwischen eine immer größere und undurchdringlicher werdende Schattenzone, in der auch PRISM, Tempora und XKeyscore entstehen konnten. Diese Schattenzone rund um die Geheimdienste wird strukturell zusehends ununterscheidbarer von der Schattenzone des Staats, die aufgrund der immer weniger parlamentarischen/demokratischen Prozessen unterworfenen Gestaltung von Politik entsteht. Diese Entwicklung hin zu einem »neoliberalen Staat« (David Harvey) begünstigt die Wirtschaft und ermöglicht die so genannte Private-Public-Partnership sowie die Privatisierung staatlicher Leistungen.
Denn auch so lässt sich die Auflösung des Staats lesen: Er löst sich nicht in Luft auf, stattdessen lösen sich seine vertrauten Konturen und Strukturen auf, an deren Stelle neue treten: Staatliche Überwachungsinfrastrukturen etwa, die in weitgehend undurchsichtiger Weise auf verschiedenen Ebenen privatisiert sind. Erstens werden sie nicht mehr allein von Behörden, sondern zu großen Teilen von privaten Security-Anbietern betrieben. Zweitens kauft der Staat auf dem freien Markt Sicherheitsprodukte ein. Drittens unterstützt der Staat die IT-Industrie mit Subventionen sowie Sonderrechten und bittet im Gegenzug um freien Zugang zu Kundendaten.
Ob die besagten Schattenzonen lediglich eine Begleiterscheinung des Transformationsprozesses sind oder ob sie das Wesen des neuen Staats ausmachen – das wird auch die zivilgesellschaftliche Transparenzbewegung so schnell nicht beantworten können. Zwar adressiert sie mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Schattenzonen den richtigen Punkt. Doch zeigt sich schon heute: Nicht nur die Verweigerung der Transparenz, sondern auch das Transparenz-Washing ist ein großes Problem. Apropos: »US-Regierung will Details zur Telefonüberwachung offenlegen« (Spiegel Online). Das »Offenlegen« wird von hochbezahlten Image-Agenturen betreut. Es zielt auf die Orchestrierung von Transparenz und damit auf die systematische Irreführung jeglichen Engagements seitens der Bürger.
Was bringt der »Snowden-Effekt« in Bewegung?
Ohnehin ist dieses Engagement heutzutage nicht mit allzu rosigen Aussichten aufgeladen. Verglichen mit der Weltrevolution 1968 gehen heute weltweit deutlich mehr Menschen auf die Straße. Die Regierungen sind jedoch weniger denn je gewillt einzulenken, geschweige denn auf die Proteste zu hören. Entsprechend realistisch gibt sich Snowden. Gefragt nach der schlimmsten Konsequenz seiner Enthüllungen über die Überwachungsprogramme sagt Snowden; »dass sich nichts ändert.«
Bereits jetzt absehbar ist, dass der »Snowden-Effekt« (Jay Rosen) einiges in Bewegung bringt. Er setzt unbequeme Themen auf die Agenda von Politik und Massenmedien und hält sie dort erstaunlich lange ‘oben’. Nebenbei könnte der »Snowden-Effekt« Bürger und Staat zu einer Renaissance verhelfen und damit Begriffe neu beleben, denen der Beigeschmack einer kafkaesk-verwalteten Welt anhaftet.
Die Frage der Stunde ist, ob und wie Bürger und Staat neu aufgeladen werden können: Kann einer wie Edward Snowden, der sich weitaus seriöser präsentiert
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