Überwachtes Netz
Gericht landeten dann eben nur die offiziellen Polizei-Erhebungen. Wie sie denn darauf kamen, Anschluss XYZ abzuhören oder das Hotmail-Konto von Zeugen ABC ausliefern zu lassen – wer weiß das schon? Solide Polizeiarbeit halt. Und dennoch – warum sollte das den Normalbürger interessieren, der nichts verbrochen hat?
Weil es ihn auch treffen kann. Mit einer zunehmenden Wahrscheinlichkeit. Denn jeder muss sich nur die rechte Spalte auf Facebook ansehen, um zu erkennen, wie fehlerhaft Big Data doch ist. Die Technik hinter Facebook-Anzeigen ist im Prinzip nicht viel anders als das, was Geheimdienstanalysten machen: Sie suchen Muster in Deinen Postings und denen Deiner Friends und versuchen, daraus Schlüsse zu ziehen. Dazu kommen noch allerhand Mutmaßungen, IP-Daten und ein Schuss Werbe-Voodoo. Dass sie damit in 999 von 1000 Fällen falsch liegen müssen ist ja egal. Bei Facebook macht die Masse der Klicks das Versagen weniger relevant, bei den Geheimdiensten wird die Erfolgskontrolle systematisch verhindert. Und das nicht nur, weil erfolgreiche Geheimdienstarbeit spektakuläre Anschläge verhindern mag, sondern weil die Kontrollgremien irrelevant gemacht wurden. Und die interne Kontrolle der NSA so motiviert ist wie die Doping-Kontrolle zu Zeiten von Lance Armstrongs großen Tour-Erfolgen.
Das Teuflische an Big Data ist auch: Es wird Dich niemals entlasten. Die Verdachtsmuster summieren sich von Mal zu Mal und niemand kann Dir sagen, was denn zu einem Rabatt führt. Du hast 80 Mal das Flugzeug benutzt ohne dass Du aufgefallen bist? Mach Dich nicht lächerlich: Auf der No-Fly-Liste gibt es keinen Rabatt. Und wir haben immer mehr solcher Listen.
Mir gehen die Metaphern aus. Es ist als ob jedes millionste Auto auf Kommando explodiert? Nein, es explodiert nicht, Du Idiot. Du musst bei jedem dritten Flug zwei Stunden mehr warten. Dein Gepäck wird durchsucht. Deine Telefonrechnung, von der Dich nur der Endbetrag interessiert, landet für einen Sekundenbruchteil im Arbeitsspeicher eines Analysten, der rauszukriegen versucht, wer Geld nach Syrien überweist. Oder ob ihn sein Freund betrügt – wer weiß das schon?
Dieser Artikel ist zuerst am 11. September 2013 auf netzpolitik.org erschienen [20] .
»Geheimdienste abschalten«
Warum Widerstand es enorm schwer hat
Lorenz Matzat
Das fundamentale Problem des Widerstands gegen die Internetüberwachung ist deren Ungreifbarkeit. Weite Teile der Bevölkerung haben wenig bis keine Ahnung, wie das Internet funktioniert. Es interessiert sie in der Regel auch nicht – Hauptsache es funktioniert. Zum Kommunizieren und Informieren, zum Shoppen und Inhalte konsumieren. Das prophylaktische Ausspähen des Internetverkehrs beeinträchtigt ihren Netzalltag nicht.
Die Binnenansicht der netzpolitischen sowie bürgerrechtlich Engagierten und Interessierten auf NSA, PRISM, Tempora & Co ist eine andere: Hier herrscht Empörung und Erschrecken über die Erosion von Bürgerrechten, vom Ende der Privatsphäre. Hier gibt es zwei Lager; das eine der Staatsgläubigen, die das Ganze für eine Fehlentwicklung halten und denken durch bessere demokratische Regeln wären Geheimdienste in den Griff zu bekommen. Das andere Lager bilden diejenigen, die staatsskeptisch sind und den Fehler im System sehen: Geheimdienste ließen sich per se nicht kontrollieren, seien grundsätzlich undemokratisch. Diese unterschiedlichen Sichten werden ein Problem für eine Bewegung gegen die Überwachungsprogramme darstellen, weil sie auf verschiedene Strategien hinauslaufen: reformistische oder radikale. Ob hier gemeinsame Ziele überhaupt möglich sind, muss sich noch zeigen.
Der Wirtschaftsfaktor
Neben der Problematik der »Bewegung«, das Thema zu vermitteln und sich auf Ziele zu einigen, wird die Debatte oft nicht in einen wirtschaftlichen Zusammenhang gestellt. Die Überwachungsindustrie hat einen enormen ökonomischen Faktor. Wenn alleine in den USA schon über 50.000 Millionen Dollar [21] im Jahr aus schwarzen Kassen von den verschiedenen Geheimdiensten ausgegeben werden können, hängen mehrere 100.000 Jobs sowie einiges an »Sharehoder Value« von diesen Geldern ab. Die Überwachungsindustrie ist Teil der Rüstungsindustrie und deren Unternehmen haben kein Interesse am Ende der Überwachung [22] . Eine Protestbewegung würde das Geschäftsmodell in Frage stellen und dürfte bekämpft werden. Die Interessen der Staatsangestellten, die in diesem Bereich arbeiten, spielen eine weitere Rolle: In der Regel
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