Ufer des Verlangens (German Edition)
abhielt, doch war sie keine so demütige Christin wie Joan. Nein, Zelda stritt mit ihrem Gott, sie hinterfragte ihn und seine rätselhaften Absichten sogar. Er war ihr kein allmächtigerVater, sondern eher ein Freund, der immer gerade da war, wo auch sie war. Joan lebte für Gott, Zelda mit ihm.
Als ihr diese Erkenntnis bewusst wurde, lächelte sie, und alles Schwere glitt von ihren Schultern. Ja, so war es: Joan lebte für Gott. Kein Wunder, dass sie sich nun auf ein Leben, das ganz und gar ihm gewidmet war, einstellen musste. Bald würde sie den Schleier nehmen und den Herrn Jesus zu ihrem Bräutigam nehmen.
Wenn Zelda an ihre bevorstehende Hochzeit dachte, wurde ihr zwar ein bisschen schwummerig, aber sie war fest entschlossen, sich auch als Eheweib nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Außerdem wusste sie längst, welche Aufgaben als Gattin und später vielleicht auch als Mutter auf sie warteten. Sie würde für das Haus sorgen, die Dienstboten befehligen, über Küche, Kammern, die Wäsche und die Kinder herrschen und sich darum kümmern, dass es in diesem Bereich an nichts fehlte. Der Mann war für die Dinge außerhalb der Hausmauern zuständig, die Frau für all das, was sich innerhalb dieser Mauern abspielte. Der Mann war zwar ihr Herr und sie ihm Gehorsam schuldig, doch gebot er nicht über ihre Gedanken, Träume und Wünsche. Ihr Äußeres wurde Ehefrau, aber im Inneren konnte sie, wenn sie wollte, einfach die bleiben, die sie war.
Was aber erwartete eine Braut Jesu? Welche Aufgaben oblagen ihr? Gebot der himmlische Bräutigam nicht auch über die Gedanken, ja, gar über die Seele seiner schwarz gekleideten Bräute?
Zelda nickte vor sich hin. Sie hatte jetzt verstanden, warum Joan so in sich gekehrt war, Ruhe brauchte und allein sein wollte. Sie musste ihre Gedanken, ihr ganzes Innenleben prüfen.
Zelda schauderte ein wenig. Das war Arbeit. Und zwar eine Arbeit, die ihr ganz und gar nicht benagte. Sie lebte nach außen und Joan nach innen. So einfach war es wohl, auch, wenn Zelda es nur schwer verstehen konnte.
Sie beschloss, ihre Schwester in Ruhe zu lassen und stattdessen allein zum See zu reiten. Vielleicht, so dachte sie, pflücke ich ihr auf dem Heimweg einen bunten Strauß mit duftenden Wiesenblumen. Und vielleicht ist es an der Zeit, dass auch ich mir Gedanken über meine Zukunft mache.
Sie stand auf, eilte in den Stall und sattelte ihr Pferd, eine Apfelschimmelstute, die auf den Namen Rose hörte. Für einen Augenblick schmiegte Zelda ihre Wange an den warmen Hals des Pferdes. Sie spürte ein leises Zucken, dann streichelte sie die Stute, schwang sich in den Sattel und ritt los. Solange sie noch in Sichtweite des Gutshauses war, saß sie zu Pferd, wie es sich für eine Lady gehörte: hoch aufgerichtet, beide Beine züchtig über die linke Seite des Sattels gelegt, das Kleid ordentlich bis zu den Füßen reichend und die Zügel zierlich in der Hand. Doch kaum war das Gutshaus hinter einer Wegbiegung verschwunden, schwang sie sich rittlings auf die Stute und jagte über die Felder und Wiesen wie ein Mann. Ihr langes rotes Haar wehte wie eine Fahne hinter ihr her. Das Kleid hatte sie bis zur Mitte der Schenkel hochgeschoben, sodass es knitterte, doch das kümmerte Zelda nicht. Ganz tief beugte sie sich über den Hals der Stute, die Zügel fest in den Fäusten, die Füße in die Steigbügel gestemmt und die weißen Schenkel gegen den warmen Stutenleib gepresst. Sie sprang über Wassergräben und Baumstämme, trieb Rose mit Rufen und Schnalzen an und hatte schon bald den Waldrand erreicht.
Im Schutz der ersten Bäume stieg sie ab, klopfte dem Pferd den Hals, holte ein Apfelstück als Belohnung aus ihrer Rocktasche und hielt es Rose hin. Dann warf sie ihr die Zügel über den Kopf, fasste sie locker unter dem weichen Pferdemaul zusammen und zog sie, die nur ungern und äußerst hochbeinig durch das Unterholz schritt, hinter sich her.
Zelda führte Rose zum Seeufer und ließ sie trinken, dann band sie sie an einen Baum. »Bleib hier, warte auf mich«, sagte sie. »Ich bade nur kurz, dann komme ich wieder.«
Zelda sah sich um, doch niemand war in der Nähe. Der Wald stand still, nur die Vögel in den Ästen der Bäume sangen. Sie war ganz allein hier, keine Menschenseele weit und breit.
Zelda zog die Kleider aus, warf sie Rose über den Rücken und rannte nackt über die Wiese bis zum sanften Ufer des Bachelor-Sees.
Das Wasser war kühl, sodass Zelda eine Gänsehaut bekam und zischend die
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