Uferwald
Schnute, und Harald wandte sich zur Garage, um das Fahrrad mit den beiden Kindersitzen auf die bekieste Einfahrt zu schieben.
»Ach Schatz!«, hörte er Isolde in seinem Rücken, »holst du mir meinen Kamelhaarmantel vom Schneider? Du weißt doch, der Türke auf dem Michelsberg ...«
Harald verzog das Gesicht.
»Der Zettel liegt auf der Kommode unterm Garderobenspiegel.«
Im Verwaltungsgebäude der Gemeinnützigen Heimstätten saß Luzie Haltermann am Besprechungstisch ihres Dienstzimmers dem Personalrat Hundsecker gegenüber und betrachtete etwas ratlos den Schreibblock, den sie sonst für ihre Notizen benutzte.
»Bitte«, sagte Hundsecker und beugte sich über den Tisch, »keine Notizen! Ein vertrauliches Gespräch, verstehen Sie? Es geht ja auch nicht um Kritik an Ihrem Führungsstil, in keinster Weise...«
Luzie Haltermann sah über Hundsecker hinweg auf das Bild an der Seitenwand ihres Büros. Es war eine Leihgabe aus dem Depot des Städtischen Museums und zeigte eine Winterlandschaft, kahle Bäume säumten eine Straße, die sich am Horizont verlor. Immer noch redete Hundsecker, Luzie verstand nicht genau, was er eigentlich wollte. Die Wortgirlanden tasteten sich an den Begriff der sozialen Kälte heran, an die Probleme einer alleinerziehenden Mutter, allmählich begriff sie.
»Das ist aber nett«, unterbrach sie den Personalrat, »dass Sie die Probleme alleinerziehender Mütter ansprechen... Denken Sie da vielleicht an die Mütter, in deren Wohnungen die tropfenden Wasserhähne nicht gerichtet werden und die kaputten Jalousien auch nicht, weil alle Aufträge im Schreibtisch einer bestimmten überforderten Arbeitskraft hier im Hause liegen bleiben?«
»Überfordert!«, echote Hundsecker, »das ist ein Wort, das so leichthin gesagt wird, was heißt das schon? Vielleicht stimmt da im Organisationsplan etwas nicht, und wenn es so ist, dann müssen wir darüber reden...«
H arald Treutlein hatte Johannes und Mona im Freien Kindergarten abgeliefert und noch kurz mit der blonden Mutter von Monas Freundin Rebecca über die Demonstration gesprochen, mit der die Bürgerinitiative Eschental in den nächsten Tagen den Leuten im Stadtplanungsamt »d’ Henna rein tun« würde, wie er sich ausdrückte. Die Blonde hatte ihn etwas verständnislos angestarrt, zu spät war ihm eingefallen, dass sie aus Norddeutschland stammte, und so hatte er eilends ein schwächliches: »Die Flausen werden wir ihnen schon noch austreiben...« nachgeschoben. Die Blonde war in dieser Woche als Hilfe eingeteilt. Ohne die Mitarbeit der Eltern wären die Beiträge nichtzu halten. Harald zum Beispiel hatte in den Ferien den neuen Fußboden selbst verlegt, er hatte das absolut fachmännisch gemacht, nicht einmal das städtische Bauamt – das ihnen sonst gerne jeden Knüppel in den Weg warf, der aufzutreiben war – hatte etwas zu beanstanden gehabt. Jetzt fuhr er von der Au über den Michelsberg zurück, er kannte den Weg gut, es wunderte ihn nur, wie lässig er die Steigung hochfuhr, er musste nicht einmal aus dem Sattel. Früher hatte er spätestens an der zweiten Querstraße in den Wiegetritt wechseln müssen.
Dann lag auch schon die Steige hinter ihm, er rollte an den Villen vorbei, von denen einige in den letzten Jahren aufwendig renoviert worden waren, schließlich war das hier eine begehrte Wohnlage. Der graubraune Wohnblock mit den abblätternden roten Fensterläden freilich sah nicht so aus, als sei dort in den letzten Jahren auch nur ein Cent investiert worden, und der Apfelbaum streckte seine kahlen Zweige so hilflos über den vertrockneten Rasen wie eh und je. Merkwürdig, ein Haus zu sehen, in dem jemand gelebt hatte, den man früher ganz gut kannte, mit dem man sogar befreundet war.
Er stieg ab, schob das Rad zu dem überdachten Fahrradständer neben den Mülltonnen und schloss es sorgfältig ab, mit zwei Stahlseilen. Ohne es eigentlich zu wollen, warf er einen Blick auf die Schilder der Klingeltafel. Unverändert, mit dem immer gleichen altmodischen Schriftzug, stand der Name »Gossler« an seiner alten Stelle.
Die Änderungsschneiderei Inönü lag im Erdgeschoss. Es roch nach Bügeldampf, an einer Deckenschiene hingen Anzüge, Mäntel, Kleider, an einer Nähmaschine saß ein grauhaariger Mann. Eine gebückte Frau mit Kopftuch brachte Isoldes Mantel, dessen Seitentaschen eingerissen gewesen waren. Offenbar hatte Isolde noch anderes ändern und Säume herausnehmen lassen, die Frau mit Kopftuch zeigte die Änderungen vor
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