Uferwechsel
grantigen Entgegnung ansetzen konnte. Dann warf ich mich hinters Steuer und bemerkte, dass Bastiani bereits mit bangem Gesichtsausdruck auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.
Was soll ich sagen? Es wurde eine atemberaubende Fahrt in jeder Hinsicht, bei der alle möglichen Gesetze und Tempolimits gebrochen wurden, während etliche Fußgänger und Velofahrer nur knapp an der Direktüberweisung in die Leichenhalle vorbeischrammten. Noch nie hatte ich so viele hochgereckte Mittelfinger und empört aufgerissene Münder im Rückspiegel gesehen wie heute.
Mit kreischenden Bremsen brachte ich den Käfer vor der Markthalle zum Stehen und konnte durch die große Fensterfront Beat, den bärtigen Verkäufer, alarmiert von seinem Gemüsestand aufblicken sehen. Obschon er wie ein Philanthrop ausschaute, war der Mann überaus gefährlich. Drei junge Männer hatte er auf dem Gewissen, vielleicht sogar mehr. Vorhin hatte ich ihm direkt gegenübergestanden, nur hatte mir da noch ein allerletztes Puzzleteilchen gefehlt, um ihn als Mörder zu entlarven. Doch es war sinnlos, mich darüber zu ärgern. Vielmehr musste ich mich jetzt beeilen, damit er mir nicht entwischte.
Beat ließ nämlich fallen, was er gerade in den Händen hielt, und rannte los.
»Ich geh außen rum«, keuchte Bastiani sofort und bog ab, während Beat wie ein aufgescheuchtes Kaninchen zwischen den Verkaufsständen Haken schlug. Dabei warf er um, wogegen er gerade stieß. Im Barrique gereifter Balsamico, Wildschweinwürste und eingemachte Oliven pflasterten meinen Weg und ließen mich mehr als einmal ausrutschen. Halt suchend klammerte ich mich an der Ausstellungsware oder an flanierenden Kunden fest, sodass der Boden weiter be deckt wurde, mit höhlengereiftem Emmentaler, zerbrochenen Akazienhoniggläsern und dem einen oder anderen Architektenpärchen. Alles spielte sich so schnell ab, dass keiner der Verkäufer reagieren konnte. Beat sprintete an der Kaffeebar vorbei und stürzte durch das Restaurant am Ende der Halle auf den dortigen Ausgang zu.
Ich verfolgte ihn der Ladenpassage entlang, die sich in den Bögen der Eisenbahnbrücke eingenistet hatte, und hatte ihn beinahe eingeholt, als er plötzlich nach links ausscherte. Wenige Sekunden später stand ich ebenfalls vor dem Treppenaufgang, der zum Viadukt hochführte.
Ich hetzte die Stufen hoch, doch als ich außer Atem oben auf dem Steg ankam, sah ich, dass Beat bereits ein gutes Stück Richtung Fluss zurückgerannt war. Eines musste man diesen ehemaligen Exschwulen lassen: Sportlich waren sie.
Unwillig knurrend setzte ich ihm nach, als Beat abbremste und sich nach kurzem Zögern auf das Geländer schwang.
»Noch einen Schritt weiter und ich springe!« Seine Stimme überschlug sich, während er mit ausgestreckten Armen auf der schmalen Balustrade balancierte, und der hoffnungslose Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.
»Genau hier ist auch Nils zu Tode gestürzt«, bemerkte ich keuchend und realisierte gleichzeitig, dass eine solche Information nicht unbedingt förderlich war, wollte ich ihn vom Springen abhalten. Aber es fiel mir gerade schwer, mich dem mehrfachen Mörder gegenüber therapeutisch-einfühlsam zu verhalten. Unauffällig machte ich einen Schritt vorwärts.
»Halt!«, schrie er.
»Lass uns reden«, schlug ich vor und duzte ihn dabei, in der Hoffnung, etwas Nähe zu schaffen.
»Es gibt nichts mehr zu sagen!«
»Da bin ich anderer Meinung! Zwei Männer sind tot und ein dritter liegt im Spital. Das schreit geradezu nach einer Erklärung!«
Sein Körper versteifte sich, während Beat den leeren Blick auf die schneebedeckte Josefwiese richtete, die gut sieben Meter unter ihm lag.
»Und das alles nur wegen der Liebe?«, fragte ich etwas versöhnlicher.
Mit einer überraschend heftigen Bewegung drehte er sich nach mir um, seine Lippen öffneten und schlossen sich stumm. Ich wagte mich einen weiteren Schritt vor, was er nicht zu bemerken schien. Unten auf der Wiese erschien jetzt Bastiani und blickte hoch. Er war jedoch umsichtig genug, sich nicht bemerkbar zu machen.
»Nur wegen der Liebe?«, wiederholte Beat aufgebracht. »Nur? Weißt du, wie das ist, wenn man verliebt ist? So sehr, dass es wehtut? Dass man ohne den anderen nicht mehr leben kann?«
Ich verzichtete auf eine Antwort.
»Und dieser Schmerz, wenn der andere nicht genauso empfindet, dich einfach nicht zurückliebt? Dich anlügt, verrät und betrügt. Und dich allein zurücklässt, ganz allein. Kennst
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