Uferwechsel
aufzurichten, wie man sie von verregneten Grillpartys kannte. Die Seitenwände blähten sich wie Segel im Wind, als die Männer jetzt versuchten, das Zelt über der Leiche zu platzieren, um sie vor dem Schneefall zu schützen. Ein Beamter leistete sich eine Unachtsamkeit und ließ kurz los, und schon riss der Sturm das Zelt wieder mit sich fort. Fluchend rannten ihm die Männer hinterher.
Auf der verzweifelten Suche nach brauchbaren Spuren wuselten derweil vermummte Gestalten in weißen Overalls um die Leiche herum. Ob sie etwas fanden, war im Schneegestöber nicht genau festzustellen, ich hielt es aber für eher unwahrscheinlich.
Außerhalb des abgesperrten Bereichs warteten Fotografen und Journalisten – unschwer an der Ausrüstung, den speckigen Lederjacken und den qualmenden Zigaretten auszumachen – und reckten die Köpfe, um das Geschehen besser verfolgen zu können. Kollegial verteilten sie untereinander Plastikbecher mit dampfendem Kaffee.
Nicht nur an der Landstraße unten, auch entlang des Waldweges waren mir die Streifenwagen aufgefallen und selbst auf der Lichtung waren etliche davon geparkt. Dem Aufmarsch an Personal nach zu urteilen, handelte es sich hier um einen äußerst wichtigen Fall.
Was auch Josés Eile erklärte. Während der Fahrt hatte er angespannt gewirkt und sich ungewohnt wortkarg gegeben. Erst auf mein hartnäckiges Nachfragen hin hatte er mir das Allernotwendigste verraten: junger Ausländer, tot, von Spaziergänger gefunden, im Wald bei Zumikon, außerhalb Zürichs.
An einen Unfall hatte von Anfang an niemand geglaubt, wie das Polizeiaufgebot deutlich machte, und wenn ich mir die immer stärker werdenden Rechtstendenzen in der Schweiz vor Augen führte, war wohl das Schlimmste zu befürchten.
Ein weiterer Wagen war jetzt zu hören, ein dunkler Mercedes, der in halsbrecherischem Tempo den Waldweg heraufpreschte und ruckartig vor der Absperrung anhielt. Als wäre es ein inszenierter Auftritt, ließ genau in diesem Augenblick der Sturm nach. Der Wind flaute ab, nur der Schnee fiel weiterhin in großen, flauschigen Flocken vom dämmrigen Himmel. Die Journalisten verstummten abrupt und wirkten mit einem Mal angespannt, während die Uniformierten entweder eine stramme Haltung annahmen oder beschäftigt guckten. Die ganze Welt schien den Atem anzuhalten.
Dann schwang die hintere Tür des Wagens auf und ein athletisch wirkender Mann mit grau melierter, perfekt sitzender Frisur entstieg ihm. Er blieb vor dem Fahrzeug stehen und blickte sich mit selbstgefälliger Miene nach allen Seiten um, als hätte er soeben unter frenetischem Beifall eine Bühne betreten. Mit einer geschmeidigen Bewegung schlug er den Kragen seines sandfarbenen Kamelhaarmantels hoch und schlüpfte unter dem Absperrband hindurch, das ein diensteifrig herbeigeeilter Beamter für ihn hochhielt. Gerade noch rechtzeitig entging er so der heranstürmenden Pressemeute, die ihm aufgeregt ihre Fragen hinterherbrüllte.
Nach wenigen Metern verlangsamte der Mann seine Schritte, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. Unvermittelt drehte er sich dann um und blickte mit pathetischem Gesichtsausdruck in die Kameras. Zeitgleich ging ein Blitzlichtgewitter über der Lichtung nieder.
»Kein Kommentar«, verkündete er mit fester Stimme, als die Fotografen ihre Bilder im Kasten hatten, und ließ sich von zwei Beamten zum Fundort der Leiche begleiten. Gereizt wedelte er die junge Frau zur Seite, die ihm Gummihandschuhe und einen weißen Overall entgegenstreckte, schüttelte flüchtig Hände und tauschte einige Worte mit den ranghöchsten Polizisten. Nachdem er alles Relevante registriert und gespeichert zu haben schien, trat er an den leblosen Körper heran, der seltsam zusammengekrümmt auf dem Boden lag.
Obwohl ich mich auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich nichts Genaueres erkennen, der Tote befand sich zu weit von der Absperrung entfernt. Dafür entdeckte ich einen älteren Mann in einer dicken Winterjacke, der mit hochgeschlagenem Kragen etwas abseits stand und gerade von einer Polizistin mit Kaffee versorgt wurde. Der Spaziergänger, der die Leiche entdeckt hatte, nahm ich an. Er wirkte verdrossen, was seine vom dampfenden Heißgetränk beschlagene Brille noch verstärkte. Wahrscheinlich harrte er schon viel zu lange in der Kälte aus. Sein Hund, ein Beagle, stand schlotternd neben seinem Herrchen und beobachtete wachsam das Geschehen.
Ich stampfte mit den Füßen auf, um mich zu wärmen, während ich mich nach José
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