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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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im vergangenen Jahr maßgeblich daran beteiligt, dass der Mord am rechten Politiker Walter Graf aufgeklärt wurde, zuvor haben Sie einen bekannten Bankier abscheulichster Verbrechen überführt. Ein unbeschriebenes Blatt sind Sie in dieser Stadt jedenfalls nicht.«
    Insgeheim fragte ich mich, ob das gut oder schlecht war. Für meine Detektei in Zürichs Kreis 4, die ich mittlerweile seit zwei Jahren mehr oder weniger erfolgreich führte, war eine gewisse Reputation sicher von Vorteil. Doch dieser Tobler wirkte alles andere als erfreut, mich hier zu sehen.
    »Ich hoffe sehr, dass Sie aus rein privaten Gründen vor Ort sind …« Er beendete den Satz nicht und blickte mich abwartend an. Die unausgesprochene Drohung war deutlich genug.
    »Natürlich«, beeilte ich mich, ihn zu beschwichtigen, »ich habe nur meinen Freund José hier …«
    Blasiert winkte der Staatsanwalt ab. »Ob Sie’s glauben oder nicht: Ihre Lebensgeschichte interessiert mich nicht ansatzweise. Sparen Sie sich diese für Ihre Memoiren oder Ihren Therapeuten. Aber die Grenze verläuft für Sie entlang dieses Absperrbandes, nur damit das klar ist.«
    Unsanft schob mich José zur Seite und trat, das Diktiergerät gezückt, auf Tobler zu. »Was haben Sie bisher über den Toten herausgefunden? Wissen Sie schon, wer er ist? Woher er kommt? Die Todesursache?«
    Doch der Staatsanwalt bedachte ihn nur mit einem verächtlichen Blick. »Die Grenze, Kumar. Denken Sie daran!« Er nickte mir kühl zu und stapfte durch den Schnee zurück zu dem weißen Zelt, das endlich schützend über dem Toten stand.
    »Arrogantes Arschloch«, kommentierte José halblaut und steckte das Diktafon wieder ein. »Aber ein hübsches Foto habe ich da gerade geschossen.« Grinsend blickte er auf das Display seines Fotoapparates. Dann hob er den Kopf und spähte zum Pulk der Journalisten, der mit gelangweilten Mienen auf der Lichtung herumlungerte. Rauchschwaden stiegen aus dem Grüppchen auf, als ließen sie ihren Redaktionen geheime Nachrichten zukommen.
    »Ich frag mal bei den Aasgeiern nach, was sie herausgefunden haben«, brummte José. Während er sich zu seinen Berufskollegen begab, ging ich ein paar Schritte an der Absperrung entlang und lehnte mich immer wieder unauffällig vor, in der Hoffnung, erkennen zu können, was sich im Innern des Zeltes abspielte. Schließlich war ich Detektiv und Neugier die Grundlage meines Geschäfts.
    Leider verdeckte mir der breite Rücken eines Beamten, der wie festgenagelt den Zelteingang bewachte, den Blick. Staatsangestellte, dachte ich ärgerlich, die rühren sich wirklich nur zur Mittagspause oder bei Feierabend. Leider stand gerade weder das eine noch das andere an.
    Misslaunig lehnte ich mich an einen Baumstamm und brütete vor mich hin. Dabei packte mich die jähe Lust nach einer Zigarette, was in letzter Zeit immer wieder vorkam. Doch nachdem ich vor sechsundzwanzig Tagen und siebzehn Stunden mit dem Rauchen aufgehört hatte, verbat ich es mir, jeweils länger als ein paar Atemzüge daran zu denken. Tatsächlich war das anfängliche, sehr körperliche Zerren, das aus meinem tiefsten Innern heraus nach einem Glimmstängel zu gieren schien, im Verlauf der beinahe vier Wochen kontinuierlich schwächer geworden. Mit dem schwindenden Verlangen hatten auch meine Gedanken wieder andere Themen zugelassen. Einzig in Verbindung mit Alkohol sah ich mich gefährdet, das Kamel wurde dann schnell zur Loreley. Doch trotz des Zitterns, das mich dabei manchmal erfasste, hatte ich dem verführerischen Werben bislang noch nie nachgegeben.
    Ich stopfte mir einen der Kaugummis in den Mund, die ich für solche Situationen mit mir herumtrug. Wild Cherry stand auf der Verpackung, eine Geschmacksrichtung, die mir in freier Natur noch nie begegnet war. Dem Hersteller wohl auch nicht, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass wilde Kirschen intensiv nach Weichspüler dufteten. Es schmeckte widerlich, doch es hielt mich wenigstens vom Rauchen ab.
    Der Uniformierte hatte sich immer noch nicht bewegt und schien vor Ort auf seine Pension zu warten. Schnee rieselte plötzlich auf mich herunter, und als ich den Kopf hob, entdeckte ich einen Eichelhäher, der in der Baumkrone über mir von Ast zu Ast hüpfte und das Geschehen unter sich mit schräg gelegtem Kopf verfolgte. Ein hübscher Vogel mit hellbraunem, etwas ins Altrosa abdriftendem Federkleid, die Partie unter seiner Schulter leuchtete himmelblau gestreift vor der verschneiten Kulisse. Ich folgte dem Häher ein

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