Uhtred 6 - Der Sterbende König
er nicht«, sagte Æthelflæd.
»Warum nicht?«
»Zu viele der Mächtigen in Südmercien wollen unter dem Schutz von Wessex stehen«, sagte sie, »und Æthelred will im Grunde keine Macht.«
»Ach nein?«
»Jetzt nicht mehr. Früher schon. Aber jetzt wird er alle paar Monate krank und hat Angst vorm Sterben. Er will die Zeit, die er noch hat, mit Frauen verbringen.« Sie warf mir einen scharfen Blick zu. »In mancher Hinsicht ist er wie du.«
»Unsinn, Weib«, sagte ich. »Sigunn ist meine Haushälterin.«
»Haushälterin«, sagte Æthelflæd höhnisch.
»Und sie hat schreckliche Angst vor dir.«
Das brachte sie zum Lachen, dann seufzte sie, weil das bedauernswerte Huhn durch einen missglückten Schlag mit dem Steinmetz-Knüpfel seinen Schnabel verloren hatte. »Ich wollte doch nur eine Statue von Werburgh mit einer Gans«, sagte sie.
»Du willst eben zu viel«, neckte ich sie.
»Ich will, was mein Vater wollte«, sagte sie ruhig. »England.«
Ich jenen Tagen war ich immer aufs Neue überrascht, wenn ich diesen Namen hörte. Ich kannte Mercien und Wessex, hatte Ostanglien gesehen, und Northumbrien betrachtete ich als meine Heimat. Aber England? Das war damals nur ein Traum, ein Traum Alfreds, und nun, nach seinem Tod, war dieser Traum noch ebenso unklar und fern wie seit jeher. Wahrscheinlicher war, dass die vier Königreiche, sofern sie sich jemals vereinten, Daneland und nicht England heißen würden, und doch teilten Æthelflæd und ich Alfreds Traum. »Sind wir Engländer?«, fragte ich sie.
»Was sonst?«
»Ich bin Northumbrier.«
»Du bist Engländer«, sagte sie bestimmt, »und hast einen dänischen Bettwärmer.« Sie stieß mich hart vor die Rippen. »Richte Sigunn aus, dass ich ihr schöne Weihnachten wünsche.«
Ich feierte Jul mit einem Fest in Fagranforda. Wir bauten aus Holz ein großes Rad von mehr als zehn Schritt Durchmesser, umwanden es mit Stroh, hängten es waagerecht an einen Eichenständer und schmierten die Nabe mit Wollfett ein, damit sich das Rad drehen konnte. Dann, als es dunkel geworden war, zündeten wir es an. Männer brachten das Rad mit Harken und Speeren in Gang, und es begann sich funkensprühend zu drehen. Meine beiden jüngsten Kinder waren bei mir, und Stiorra hatte meine Hand genommen und schaute mit riesigen Augen auf das große, brennende Rad. »Warum hast du es angezündet?«, fragte sie.
»Das ist ein Zeichen an die Götter«, sagte ich, »es sagt ihnen, dass wir an sie denken, und es bittet sie, dem Jahr neues Leben einzuhauchen.«
»Ist es ein Zeichen an Jesus?«, fragte sie, ohne wirklich zu begreifen, was sie da sagte.
»Ja«, sagte ich, »und an die anderen Götter.«
Jubel ertönte, als das Rad abstürzte, und dann folgte ein Wettstreit, bei dem Männer und Frauen über die Flammen sprangen. Ich sprang mit meinen beiden Kindern in den Armen, flog durch Rauch und Funken. Dann sah ich den vielen Funken nach, die in die kalte Nacht stoben, und ich fragte mich, wie viele andere Räder im Norden brannten, wo die Dänen von Wessex träumten.
Doch wenn sie träumten, so taten sie nichts für diese Träume. Und das war für sich selbst genommen schon eine Überraschung. Alfreds Tod, so schien es mir, hätte der Auslöser eines Angriffs sein müssen, aber den Dänen fehlte ein Führer, der sie vereinigte. Sigurd war immer noch krank, Cnut, hörten wir, war noch damit beschäftigt, die Schotten zur Unterwerfung zu zwingen, und Eohric wusste nicht, ob er sich für den christlichen Süden oder den dänischen Norden entscheiden sollte und tat demzufolge gar nichts. Haesten lag weiter in Ceaster auf der Lauer, aber seine Truppen waren schwach. Æthelwold blieb in Eoferwic, aber er konnte Wessex nicht angreifen, solange Cnut es nicht erlaubte, und so wurden wir in Frieden gelassen, auch wenn ich überzeugt davon war, dass es nicht so bleiben würde.
Ich war in Versuchung, so sehr in Versuchung, nach Norden zu gehen, um noch einmal Ælfadell zu befragen, aber ich wusste, wie töricht das war, und ich wusste, dass ich in Wahrheit nicht Ælfadell sehen wollte, sondern Erce, diese fremdartige, schweigende Schönheit. Ich ging nicht, aber ich erhielt Neuigkeiten, als Offa nach Fagranforda kam. Ich setzte ihn in meinen neuen Palas und türmte Scheite aufs Feuer, damit er sich die alten Knochen wärmen konnte.
Offa war ein Mercier und früher Priester, doch sein Glaube war nicht stark genug geblieben. Er gab das Priesteramt auf und zog nun mit einem Rudel abgerichteter
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