Uhtred 6 - Der Sterbende König
angreifen, hatte seinen Speer gehoben, und ich drehte mich um und sah ihn an. Sah ihn einfach nur an. Er errötete und langsam, ganz langsam, senkte sich der Speer. »Ich habe gegen die Feinde eures Königs gekämpft«, sagte ich, ohne den Speermann aus den Augen zu lassen, aber dann drehte ich mich wieder zu Plegmund um, »wie Bischof Erkenwald sehr wohl weiß. Während sich andere Männer hinter die Wälle der Wehrstädte geduckt haben, führte ich die Armee Eures Königs an. Ich habe im Schildwall gestanden. Ich habe die Widersacher niedergemacht, den Boden mit dem Blut Eurer Feinde getränkt, ich habe die Schiffe verbrannt, ich habe die Festung bei Beamfleot erobert.«
»Und Ihr tragt den Hammer!« Assers Stimme war schrill. Mit bebendem Finger deutete er auf mein Amulett.
»Es ist das Symbol unserer Gegner, das Zeichen derer, die unseren Herrn Jesus erneut martern würden, und Ihr tragt es sogar am Hof unseres Königs!«
»Was hat Eure Mutter getan?«, fragte ich. »Gefurzt wie eine Mähre? Und damit wart Ihr auf einmal da?«
»Das genügt«, sagte Plegmund matt.
Es war nicht schwer zu erraten, wer ihnen das Gift ins Ohr geträufelt hatte. Mein Cousin Æthelred. Seinem Titel nach war er der Herr von Mercien, und es gab in diesem Land keine andere Stellung, die einem Königsthron näher kam, allerdings wusste jedermann, dass Æthelred nichts weiter war als ein Hündchen, das von Westsachsen an der kurzen Leine gehalten wurde. Diese Leine wollte er kappen, und wenn Alfred starb, würde er zweifellos die Krone verlangen. Und eine neue Frau, denn die alte war Æthelflæd, die ihm zu der Leine auch noch Hörner aufgesetzt hatte. Ein gehörntes Hündchen, das an der kurzen Leine gehalten wurde, wollte Rache, und es wollte meinen Tod. Denn Æthelred wusste, dass es in Mercien allzu viele Männer gab, die eher mir als ihm Gefolgschaft leisten würden.
»Es ist unsere Pflicht, über Euer Schicksal zu entscheiden«, sagte Plegmund.
»Das tun die Nornen«, sagte ich, »an der Wurzel des Weltenbaumes Yggdrasil.«
»Heide«, zischte Asser.
»Das Königreich muss geschützt werden«, fuhr der Erzbischof fort, ohne uns beide zu beachten, »es muss einen Schild des Glaubens und ein Schwert der Rechtschaffenheit haben, und im Reiche Gottes ist kein Platz für einen Mann ohne Glauben, einen Mann, der sich jeden Augenblick gegen uns wenden könnte. Uhtred von Bebbanburg, ich muss Euch sagen …«
Doch was immer er mir auch sagte wollte, blieb unausgesprochen, weil knarrend die Tür des Palas geöffnet wurde. »Der König will ihn sehen«, sagte eine vertraute Stimme.
Ich drehte mich um und sah Steapa an der Tür stehen. Der gute Steapa, der Befehlshaber über Alfreds Haustruppen, ein Bauernsklave, der zu einem großen Krieger aufgestiegen war, ein Mann, der nicht viel mehr Verstand hatte als ein Fass Lehm, aber stark war wie ein Ochse, ein Freund, und ein so wahrhaftiger Mensch, wie ich kaum je einen gekannt habe. »Der König«, sagte er auf seine schwerfällig Art.
»Aber …«, begann Plegmund.
»Der König will mich sehen, krummzahniger Bastard«, sagte ich zu ihm, und dann sah ich den Speermann an, der mich bedroht hatte. »Wenn du jemals wieder eine Klinge gegen mich erhebst«, versprach ich ihm, »schlitze ich dir den Bauch auf und verfüttere deine Eingeweide an meine Hunde.«
Die Nornen lachten sich vermutlich ins Fäustchen, und ich ging zum König.
ZWEITER TEIL
Tod eines Königs
SECHS
A lfred lag, in Wolldecken gehüllt, halb aufrecht an ein großes Kissen gelehnt. Osferth saß am Bett, sein Vater hielt seine Hand. Die andere Hand des Königs lag auf einem juwelenbesetzten Buch, das ich für ein Evangeliar hielt. Vor dem Zimmer, in einem langen Durchgang, intonierten Bruder John und vier Mitglieder seines Chors einen Trauergesang. Im Zimmer stank es, trotz der Kräuter, die auf den Boden gestreut worden waren, und der dicken Kerzen, die auf hohen, hölzernen Haltern brannten. Einige von ihnen gehörten zu Alfreds hochgeschätzten Uhrenkerzen, ihre Streifen machten die vergehenden Stunden sichtbar, während dem König langsam sein Leben entwich. Zwei Priester lehnten an einer der Wände von Alfreds Kammer, während ihnen gegenüber ein großes Lederbild die Kreuzigung zeigte.
Steapa schob mich in den Raum und zog hinter mir die Tür zu.
Alfred sah aus, als wäre er schon gestorben. Und wahrhaftig, ich hätte ihn beinahe für eine Leiche gehalten, wenn er nicht seine Hand über der Hand von
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