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Uhtred 6 - Der Sterbende König

Uhtred 6 - Der Sterbende König

Titel: Uhtred 6 - Der Sterbende König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Osferth bewegt hätte, dem die Tränen über die Wangen strömten. Das längliche Gesicht des Königs war fahl wie ein Schafspelz, mit eingesunkenen Augen, eingesunkenen Wangen und dunklen Schatten. Sein Haar war dünn und weiß geworden. Sein Zahnfleisch hatte sich von den letzten Zähnen zurückgezogen, die ihm noch geblieben waren, an seinem unrasierten Kinn klebte angetrockneter Speichel, die Hand auf dem Buch bestand nur noch aus Haut und Knochen, und an ihr schimmerte ein mächtiger Rubinring, der für den skelettartigen Finger viel zu groß geworden war. Sein Atem ging flach, doch seine Stimme war bemerkenswert kräftig. »Sehet, das Schwert der Sachsen«, grüßte er mich.
    »Und ich sehe, dass Euer Sohn eine lose Zunge hat, mein Herr König«, sagte ich. Dann ließ ich mich auf ein Knie hinab, bis er mich mit schwacher Geste dazu aufforderte, mich zu erheben.
    Er blickte von seinem Kissen zu mir empor, und ich sah ihn an, und die Mönche sangen hinter der Tür, und eine Kerze flackerte, und von ihrem Docht stieg eine dicke Rauchspirale auf. »Ich sterbe, Herr Uhtred«, sagte Alfred.
    »Ja, Herr.«
    »Und du siehst aus, als wärst du gesund wie ein Ochse«, sagte er mit einer Grimasse, die ein Lächeln sein sollte. »Du hattest schon immer die Gabe, mich zu verdrießen, nicht wahr? Es ist nicht rücksichtsvoll, vor einem sterbenden König so gesund auszusehen, aber ich freue mich für dich.« Seine linke Hand fuhr über das Evangeliar. »Erzähl mir, was geschehen wird, wenn ich tot bin«, befahl er mir.
    »Euer Sohn Edward wird regieren, Herr.«
    Er blickte mich an, und ich sah die Klugheit in den eingesunkenen Augen. »Erzähl mir nicht, was ich deiner Meinung nach hören will«, sagte er mit einem Hauch seiner alten Schroffheit, »sondern was du selbst glaubst.«
    »Euer Sohn wird regieren, Herr«, wiederholte ich.
    Er nickte langsam. »Er ist ein guter Sohn«, sagte Alfred, beinahe als versuchte er, sich selbst davon zu überzeugen.
    »Er hat bei Beamfleot gut gekämpft. Ihr wärt stolz auf ihn gewesen, Herr.«
    Erschöpft nickte Alfred noch einmal. »So vieles wird von einem König erwartet«, sagte er. »In der Schlacht muss er tapfer sein, in der Ratsversammlung weise und gerecht in seinem Urteil.«
    »Dies alles wart Ihr, Herr«, sagte ich, und damit schmeichelte ich ihm nicht, sondern sprach die Wahrheit.
    »Ich habe mich bemüht«, sagte er. »Gott weiß, wie sehr ich mich bemüht habe.« Er schloss die Augen und schwieg so lange, dass ich mich fragte, ob er eingeschlafen war und ich gehen sollte, doch dann schlug er die Augen wieder auf und sah zu der rauchgeschwärzten Zimmerdecke empor. Irgendwo im Palast kläffte durchdringend ein Hund und brach dann unvermittelt ab. Alfred runzelte gedankenvoll die Stirn, dann wandte er den Kopf, um mich anzusehen. »Du hast vergangenen Sommer einige Zeit mit Edward verbracht«, sagte er.
    »Das habe ich, Herr.«
    »Ist er klug?«
    »Er ist schlau, Herr«, sagte ich.
    »Viele Menschen sind schlau, Herr Uhtred, aber nur wenige sind klug.«
    »Der Mensch wird durch Erfahrung klug, Herr«, sagte ich.
    »Einige schon«, gab Alfred spitz zurück. »Aber wird Edward klug werden?« Ich zuckte mit den Schultern, denn diese Frage konnte ich nicht beantworten. »Ich habe Sorge«, sagte Alfred, »dass er sich von seinen Leidenschaften beherrschen lassen wird.«
    Ich streifte Osferth mit einem Blick. »Wie Eure einst Euch beherrscht haben, Herr.«
    »Omnes enim peccaverunt«, sagte Alfred leise.
    »Alle haben gesündigt«, übersetzte Osferth und erntete ein Lächeln seines Vaters.
    »Sein Eigensinn beunruhigt mich«, sagte Alfred und meinte wieder Edward. Ich war überrascht, dass er so offen über seinen Erben sprach, aber es verstand sich, dass es nur noch diese eine Sache war, die ihm in seinen letzten Tagen auf der Seele lag. Alfred hatte sein ganzes Leben der Sicherung von Wessex gewidmet, und er suchte verzweifelt nach einer Bestätigung, dass seine Erfolge nicht allesamt von seinem Nachfolger zunichte gemacht werden würden, und diese Sorge war so groß, dass er nicht von diesem Thema ablassen konnte. So sehr wollte er diese Bestätigung.
    »Ihr habt ihm gute Berater zur Seite gestellt, Herr«, sagte ich, nicht weil ich es glaubte, sondern weil er es hören wollte. Viele Männer aus dem Witan waren in der Tat gute Berater, aber es gab zu viele Kirchenvertreter wie Plegmund, dessen Vorschlägen ich niemals trauen würde.
    »Und ein König kann jeden Rat ablehnen«,

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