Uhtred 6 - Der Sterbende König
aber davon unterbrochen, dass Steapa einfach nur aufstand. Er war ein hünenhafter Mann, zum Fürchten groß und breit, und als Anführer der königlichen Leibwache durfte er auch innerhalb des Palastbezirks sein Schwert tragen. Er umschloss das Heft seines Schwertes mit der Hand, und augenblicklich schob Æthelwold seine eigene Waffe halb in die Scheide zurück. »Ich war in Sorge«, sagte er, »dass die Klinge bei diesem feuchten Wetter gerostet sein könnte. Aber es sieht nicht danach aus.«
»Hast du Wollfett auf die Klinge gestrichen?«, fragte ich.
»Das muss wohl mein Diener getan haben«, sagte er leichthin. Er schob das Schwert nun ganz in die Scheide. Der Mann mit den blutigen Bullenhörnern auf dem Schild starrte mich unter seinem Helm heraus an.
»Kommst du zur Beerdigung zurück?«, fragte ich Æthelwold.
»Und zur Krönung ebenfalls«, sagte er verschlagen, »aber bis dahin habe ich in Tweoxnam zu tun.« Er schenkte mir ein unfreundliches Lächeln. »Mein Besitz dort ist nicht so umfangreich wie deiner in Fagranforda, Herr Uhtred, aber groß genug, dass ich mich in diesen traurigen Tagen darum kümmern muss.« Er raffte die Zügel zusammen und rammte dem Hengst die Sporen in die Flanken, sodass das Tier einen Satz nach vorn machte. Seine Männer folgten ihm, und lautes Hufgeklapper erfüllte den gepflasterten Hof.
»Wer trägt einen Bullenschädel auf dem Schild?«, fragte ich Steapa.
»Sigebriht von Cent«, sagte Steapa und sah den Männern nach, die durch den Torbogen verschwanden. »Ein junger, reicher Tölpel.«
»Waren das seine Gefolgsleute oder die von Æthelwold?«
»Æthelwold hat Männer«, sagte Steapa. »Er kann sie sich leisten. Ihm gehören die Besitzungen seines Vaters bei Tweoxnam und Wimburnan, das macht ihn zu einem wohlhabenden Mann.«
»Er wäre besser tot.«
»Das sind Familienangelegenheiten«, sagte Steapa. »Damit haben du und ich nichts zu schaffen.«
»Du und ich sind aber diejenigen, die für die Familie das Töten übernehmen«, sagte ich.
»Dafür werde ich langsam zu alt«, knurrte er.
»Wie alt bist du?«
»Keine Ahnung«, sagte er, »vierzig?«
Er führte mich durch ein kleines Tor in der Palastmauer und dann über ein Stück regendurchweichter Wiese zu Alfreds alter Kirche, die neben der neuen Klosterkirche stand. Wo der große Steinturm noch nicht fertiggestellt war, reckten sich Gerüste wie Spinnweben in den Himmel. Das Stadtvolk hatte sich an der Tür der alten Kirche versammelt. Die Leute unterhielten sich nicht, standen einfach nur da, starrten schweigend vor sich hin und traten zur Seite, als Steapa und ich näher kamen. Jemand verbeugte sich vor uns. Die Tür wurde von sechs Männern Steapas bewacht, die ihre Speere zur Seite zogen, als sie uns sahen.
Steapa bekreuzigte sich, als wir die alte Kirche betraten. Es war kalt dort drinnen. Die Steinmauern waren mit Szenen aus der Bibel bemalt, während auf den Altären Gold, Silber und Kristall funkelten. Der Traum eines jeden Dänen, dachte ich, denn hier konnte man genug Beute machen, um eine ganze Flotte zu kaufen und sie mit Schwertkämpfern auszustatten. »Er fand diese Kirche zu klein«, sagte Steapa verständnislos und sah zu den hohen Deckenbalken hinauf. Vögel flatterten dort oben herum. »Letztes Jahr hat hier ein Falke genistet«, sagte er.
Der König war schon in die Kirche gebracht und vor dem Hochaltar aufgebahrt worden. Ein Harfher spielte, und in den Schatten sang Bruder Johns Chor. Ich fragte mich, ob mein Sohn bei ihnen war, sah aber nicht nach. Priester murmelten vor den Seitenaltären oder knieten neben dem Sarg, in dem der König lag. Alfreds Augen waren geschlossen, und sein Gesicht war mit einem weißen Tuch umschlungen, damit seine Lippen zusammengepresst blieben, zwischen ihnen konnte ich gerade noch eine Brotkruste erkennen, weil vermutlich ein Priester dem Toten ein Stück vom Leib Christi in den Mund geschoben hatte. Alfred war in ein weißes Büßergewand gehüllt, ebenso wie das, das er mich einmal gezwungen hatte zu tragen. Das war Jahre zuvor gewesen, als Æthelwold und mir befohlen worden war, uns vor einem Altar zu demütigen, und mir war keine Wahl geblieben, als es zu tun, doch Æthelwold hatte aus der ganzen erbärmlichen Zeremonie eine Schmierenkomödie werden lassen. Er hatte vorgegeben, von größter Reue erfüllt zu sein und diese Reue zum Himmel emporgeschrien: »Keine Brüste mehr, Gott! Keine Brüste mehr! Bewahre mich vor diesen Brüsten!«, und ich
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