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Uhtred 6 - Der Sterbende König

Uhtred 6 - Der Sterbende König

Titel: Uhtred 6 - Der Sterbende König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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erinnerte mich, wie Alfred voll Enttäuschung und Ekel den Blick von ihm abgewandt hatte.
    »Exanceaster«, sagte Steapa.
    »Du denkst an denselben Tag«, sagte ich.
    »Es hat geregnet«, sagte er, »und du musstest bäuchlings zu dem Feldaltar kriechen. Ja, das weiß ich noch.«
    Damals hatte ich den unheimlichen und bedrohlichen Steapa zum ersten Mal gesehen, und wir hatten gegeneinander gekämpft, und dann waren wir Freunde geworden, und all das war so lange her, und jetzt stand ich vor Alfreds Sarg und dachte daran, wie uns das Leben zwischen den Fingern zerrinnt und dass Alfred beinahe mein ganzes Leben lang auf mich gewirkt hatte wie eine unübersehbare Landmarke. Ich hatte ihn nicht gemocht. Ich hatte gegen ihn gekämpft und für ihn, ich hatte ihn verflucht und ihm gedankt, ihn verabscheut und ihn bewundert. Ich hasste seine Religion und seinen kühlen missbilligenden Blick, seine Gehässigkeit, die sich in einen Mantel aus vorgeblicher Freundlichkeit hüllte, und seine Treue zu einem Gott, der alle Freude aus der Welt bannte, indem er sie Sünde nannte, und dennoch hatte Alfreds Religion einen guten Mann aus ihm gemacht und einen guten König.
    Und Alfreds freudlose Seele hatte sich als Felsen erwiesen, auf den die Dänen aufgelaufen waren. Wieder und wieder hatten sie angegriffen, und wieder und wieder war ihnen Alfred überlegen gewesen, und Wessex wurde immer mächtiger und reicher, und all das lag an Alfred. Wir sehen Könige als privilegierte Männer, die über uns herrschen und die Freiheit haben, ihr eigenes Gesetz zu brechen und sich darüberzustellen, doch Alfred hatte sich nie über das Gesetz erhoben, das zu ersinnen ihm so viel Freude bereitete. Er betrachtete sein Leben als Dienst für seinen Gott und das Volk von Wessex, und ich habe nie einen besseren König gesehen, und ich bezweifle, dass meine Söhne, meine Enkel und deren Kindeskinder jemals einen besseren sehen werden. Ich mochte ihn nie, aber ich habe dennoch nie aufgehört, ihn zu bewundern. Er war mein König, und alles, was ich jetzt besitze, schulde ich ihm. Das Essen, das ich zu mir nehme, der Palas, in dem ich wohne, und die Schwerter meiner Männer, alles begann mit Alfred, der mich zuweilen gehasst und zuweilen geliebt hat und der großzügig zu mir war. Er war ein Goldgeber.
    Steapas Wangen waren tränennass. Einige der Priester, die beim Sarg knieten, schluchzten hemmungslos. »Heute Nacht werden sie sein Grab ausheben«, sagte Steapa und deutete auf den Hochaltar, der mit den glitzernden Reliquien überhäuft war, die Alfred so geliebt hatte.
    »Sie beerdigen ihn hier drinnen?«, fragte ich.
    »Es gibt eine Gruft«, sagte er, »aber sie muss erst noch geöffnet werden. Wenn die neue Kirche fertig ist, wird er dorthin gebracht.«
    »Und die Beisetzung ist morgen?«
    »Vielleicht in einer Woche. Sie müssen den Leuten Zeit geben, damit sie die Reise hierher machen können.«
    Wir blieben lange in der Kirche, grüßten Männer, die kamen, um zu trauern, und um die Mittagszeit kam der neue König mit einer Gruppe Edelleute. Edward war groß gewachsen, hatte ein längliches Gesicht, schmale Lippen und sehr schwarzes Haar, das er zurückgekämmt trug. Er wirkte so jung auf mich. Er trug ein blaues Gewand, das in seiner Mitte von einem mit Goldplättchen besetzten Ledergürtel zusammengehalten wurde, und darüber einen schwarzen Umhang, der bis auf den Boden reichte. Eine Krone trug er nicht, denn er war noch nicht gekrönt, aber auf seinem Kopf lag ein Bronzereif.
    Ich erkannte die meisten Aldermänner, die ihn begleiteten. Æthelnoth, Wilfrith und selbstredend Edwards künftigen Schwiegervater, Æthelhelm, der neben Pater Coenwulf ging, dem Beichtvater und Vertreter Edwards. Ein halbes Dutzend jüngerer Männer kannte ich nicht, und dann sah ich meinen Cousin, Æthelred, und er sah mich in demselben Moment und erstarrte. Edward, der zum Sarg seines Vaters ging, winkte ihn weiter. Steapa und ich ließen uns auf ein Knie nieder und blieben so, als sich Edward ans Fußende des väterlichen Sarges kniete und seine Hände zum Gebet faltete. All seine Wachen knieten ebenfalls. Niemand sprach ein Wort. Nur der endlose Gesang des Chors hallte durch die Kirche, während Weihrauchschwaden durch die Sonnenstrahlen trieben, die zu den Fenstern hereinfielen.
    Æthelred hatte in vorgeblichem Gebet die Augen geschlossen. Ein bitterer Ausdruck lag auf seiner Miene, und er wirkte merkwürdig gealtert, vielleicht hatte er ein Leiden überstanden und

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