Uhtred 6 - Der Sterbende König
fuhr Æthelflæd fort, »und dass er sich am meisten Hoffnung machen kann, die heutige Morgendämmerung zu überleben, wenn er sich von Æthelwold lossagt und Edward die Gefolgschaft schwört.«
Ich legte das Schwert unter Sigebrihts Kinn, von dem er säuberlich den Bart geschabt hatte, sodass er den Kopf heben musste. Er war so schön mit seinen strahlenden Augen, und in diesen Augen entdeckte ich keinen verschlagenen Blick, nur den Blick eines verängstigten Mannes. Und doch wusste ich, dass ich ihn töten sollte. Ich berührte mit der Schwertspitze das Seidenband, das er um den Hals trug. »Erklärt mir, warum ich Euch nicht Eure erbärmliche Kehle durchschneiden soll«, befahl ich ihm.
»Ich habe mich ergeben, Herr«, sagte er, »ich bitte um Gnade.«
»Was hat es mit diesem Band auf sich?«, fragte ich und ließ die rosafarbene Seide unter Schlangenhauchs Spitze wegschnellen, wobei ich einen blutigen Streifen darauf zeichnete.
»Es war das Geschenk eines Mädchens«, sagte er.
»Von der Herrin Ecgwynn?«
Er sah mich an. »Sie war eine Schönheit«, sagte er wehmütig, »sie war wie ein Engel, sie hat mir den Verstand geraubt.«
»Und sie hat Edward bevorzugt«, sagte ich.
»Und sie ist tot, Herr«, sagte Sigebriht, »und ich glaube, das bedauert König Edward ebenso sehr wie ich.«
»Kämpft für jemanden, der lebt«, sagte Æthelflæd, »nicht für die Toten.«
»Ich war im Unrecht, Herr«, sagte Sigebriht, und ich war nicht sicher, ob ich ihm glaubte, und deshalb drückte ich ihm das Schwert an den Hals und sah die Angst in seinen blauen Augen.
»Die Entscheidung liegt bei meinem Bruder«, sagte Æthelflæd sanft, denn sie wusste, was ich im Sinn hatte.
Ich ließ ihn leben.
In dieser Nacht, so hörten wir später, überquerte Æthelwold die Grenze nach Mercien und ritt weiter nach Norden, bis er die Sicherheit von Sigurds Palas erreichte. Er war entkommen.
ACHT
A lfred war beerdigt.
Die Beerdigung dauerte fünf Stunden voller Gebete, Gesänge, Geheule und Gepredige. Der alte König war in einen Sarg aus Ulmenholz gelegt worden, der mit Bildern aus dem Leben der Heiligen bemalt war, wogegen der Deckel einen höchst überrascht blickenden Christus bei der Himmelfahrt zeigte. Man hatte dem König einen Splitter des Wahren Kreuzes zwischen die Finger gelegt, und ein Evangeliar diente ihm als Kopfkissen. Der Ulmensarg wurde in einen großen Kasten aus Blei gestellt, und dieser wiederum war von einem dritten Kasten umschlossen, der aus Zedernholz gefertigt war, in den man Bilder von Heiligen geschnitzt hatte, die dem Tode trotzten. Eine Heilige wurde verbrannt, doch die Flammen konnten ihr nichts anhaben, eine zweite wurde gemartert und schenkte ihren glücklosen Folterern dennoch ein verzeihendes Lächeln, und ein dritter wurde von Speeren durchbohrt und predigte gleichwohl weiter. Der gesamte sperrige Sarg wurde in die Krypta der alten Kirche hinuntergetragen, wo er in eine steinerne Kammer eingemauert wurde, in der Alfred so lange ruhte, bis die neue Kirche fertiggestellt war. Später sollte er dann in die Gruft gebracht werden, in der er heute noch liegt. Ich erinnere mich daran, dass Steapa schluchzte wie ein Kind. Beocca war in Tränen aufgelöst. Sogar der gestrenge Erzbischof Plegmund weinte bei seiner Predigt. Er sprach von der Jakobsleiter in einem Traum, von dem die Heilige Schrift der Christen erzählt. Als Jakob mit einem Stein als Kopfkissen unter dieser Leiter lag, hörte er die Stimme Gottes. »Das Land, auf dem du liegst, soll deinen Kindern gegeben werden und deinen Kindeskindern«, Plegmunds Stimme brach, als er die Worte las, »und deine Kinder werden sein wie der Staub auf der Erde, und sie werden sich nach Westen und Osten und Norden und Süden ausbreiten, und durch dich und deine Kinder sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.«
Als Plegmund an der Stelle seiner langen Predigt ankam, an der er den Schluss zog: »Jakobs Traum war Alfreds Traum«, war seine Stimme schon heiser geworden. »Und nun ruht Alfred hier, an diesem Ort, und dieses Land soll seinen Kindern und seinen Kindeskindern gegeben werden bis zum Jüngsten Tag! Und nicht nur dieses Land! Alfred hat davon geträumt, dass wir Sachsen das Licht der Heilsbotschaft in ganz Britannien verbreiten und in allen anderen Ländern, bis sich jede Stimme auf Erden zum Lob Gottes des Allmächtigen erhebt.«
Ich weiß noch, wie ich in mich hineinlächelte. Ich stand hinten in der alten Kirche, betrachtete den
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